
Protokoll des 1. Kolloquiums über die Anwendung der
Elektronischen Datenverarbeitung in den Geisteswissenschaften
an der Universität Tübingen vom 17. November 1973
Da die EDV bisher bei den Geisteswissenschaften im Verhältnis zu Mathematik
und Naturwissenschaften noch einen sehr geringen Raum einnimmt,
sind die Belange der Geisteswissenschaftler bei der maschinellen
Ausrüstung des ZDV noch recht wenig berücksichtigt; so fehlen
z.B. Datenerfassungsgeräte für direkte Verarbeitung hand- und maschinengeschriebener
Belege, und für die Ausgabe von anderen Zeichen als
lateinische Großbuchstaben müssen wir entweder in der Industrie aufgestellte Geräte benutzen oder uns durch "Mißbrauch" des Kurvenschreibers (Calcomp Plotter) notdürftig behelfen. Die Abteilung kann bei
diesbezüglichen Wünschen mit mehr Nachdruck auftreten, je mehr Geisteswissenschaftler die Dienste der EDV zuhilfe nehmen.
Vorhaben:
Handschriftenlage:
Literatur:
EDV:
Geplant:
Wortindex, später Index zum ganzen Corpus.
Bedeutung:
Für übersetzungstechnisch-stilistische Untersuchungen liegen Listen und
Lochkarten mit Doppelausdrücken (3016 mal "und", 223 mal "oder") vor.
Für meine Fragestellung tatsächlich brauchbar sind ca. 1700 Karten,
von Hand aussortiert. Sie sind noch zu gliedern: nach Wortarten und danach,
ob der Doppelausdruck bereits im Lateinischen stand oder erst in der Übersetzung.
Innerhalb des SFB 8 "Spätmittelalter und Reformation", Teilprojekt:
Johann von Staupitz: Kritische Edition seiner Predigten, Schriften und Briefe.
Aufgabe des Referenten:
Problem:
Heranziehung der Datenverarbeitung:
Projektdefinition:
Projektbeschreibung:
Die Grabung am Speckberg 1964-1969 wurde von Anfang an zur Aufarbeitung
durch EDV angelegt. Die insgesamt 800 qm wurden nach einem einheitlichen
qm-Raster, der bei Bedarf in 1/4 qm unterteilt werden konnte, gegliedert,
während die Straten in einen 5cm-Modul geteilt wurden, der je nach
Situation zusammengefaßt werden konnte (10cm-, 15cm-, 20cm-Stufen).
Durch diese einheitliche Teilung konnten die Objekte auf genormte Kubatureinheiten
bezogen werden. Durch diesen Bezug auf eine feste Kubatureinheit
wurde die Anfertigung von Einzelkarten vermieden. Statt 300.000
Karten (bei über 300.000 Steinartefakten und Scherben) waren nur 6.000
Karten zu erstellen.
Durch das vom ZDV erarbeitete Programm konnte die Verteilung in einem
vereinfachten aber konventionell lesbaren Schema ausgedruckt werden.
Für den Archäologen bedeutet das nach 80 Grabungsmonaten (Person/Monat)
und 60 Katalogmonaten eine Ersparnis von rund 60 Auswertungsmonaten.
In der ersparten Zeit war eine gleichgroße Equipe bereits mit einer
Arktisgrabung unter Leitung des Berichterstatters beschäftigt.
Mit Hilfe der Zahlenverteilungen lassen sich sehr gut durch Ablesen von
Maxima innerhalb der Tiefenstreuung Artefakthorizonte als Einheiten
verfolgen, die durch die miteingearbeiteten Typenschlüssel ("Leitfossilien")
zeitlich bestimmt werden können. In der Fläche erscheinen Verhältnisse
zwischen Rohprodukten und feiner ausgearbeiteten Artefakten,
die deutliche Signifikanzunterschiede für die einzelnen Zeitstufen erkennen
lassen. So kommt im Mittelpaläolithikum nur ein Artefakt feiner
Ausarbeitung auf 100 Abschläge, im Mesolithikum aber eines auf 10, ein
Wert, der sich in den 800 qm mehr als 30 mal sichern läßt und bisher
in dieser Deutlichkeit wegen der geringeren Menge der verarbeiteten Zahlen
nicht festgestellt werden konnte.
Bei derartigen Arbeiten, die an sich archäologische Routine sind, ist
der Einsatz der EDV ein ganz erheblicher Sparfaktor.
Bei der Bearbeitung von Tierknochenfunden aus archäologischen Ausgrabungen
ergeben sich regelmäßig Schwierigkeiten aus dem Umgang mit großen
Datenmengen (erwünschte Mindestgröße eines Komplexes: 10.000 auswertbare
Einzelstücke). Der konventionelle Weg der Bearbeitung beinhaltet einen
hohen Anteil technischer Arbeit und zahlreiche Fehlerquellen durch falsches
Umschreiben oder Rechenfehler beim manuellen oder nicht programmierten
maschinellen Rechnen. Der hohe Aufwand bringt es auch mit
sich, daß ein Zwischenergebnis im Laufe der Bearbeitung nicht erstellt werden kann.
Bewältigung des Problems:
Methodik:
Schwierigkeiten:
Ein wichtiger Gesichtspunkt des Reimindex, der
sich unter den Beigaben zum eigentlichen Wortindex befindet, ist die
Anordnung nach dem Reimtyp, der Zeichenfolge vom Reimvokal ab, welcher
per Programm durch Eingehen auf die sprachlichen Eigentümlichkeiten
des (nicht normalisierten) Textes ermittelt wird.
(Die hier wiedergegebenen Kurzfassungen wurden von den
Referenten zur Verfügung gestellt.)
Begrüßung und Einführung
Wilhelm Ott
Zweck dieses 1. Kolloquiums ist die gegenseitige Information
Seit 1969 werden vom ZDV Vorlesungen und Programmierkurse für Geisteswissenschaftler
angeboten. Seit 1.9.1970 besteht die Abteilung für Literarische und Dokumentarische Datenverarbeitung (LDDV) am Zentrum für Datenverarbeitung (ZDV) der Universität Tübingen offiziell
und umfaßt zur Zeit 4 Mitarbeiter. Die Mitarbeiter stehen zur Beratung
für Selbstprogrammierer zur Verfügung, stellen Programme und Programmbausteine
für immer wiederkehrende Probleme bereit und entwickeln
Lösungen für neue Anwendungsgebiete. Selbstgesetzte Arbeitsschwerpunkte sind dabei:
Solche Gebiete sind zu groß, als daß sie an jedem Universitäts-Rechenzentrum
ausgebaut sein könnten. Deshalb steht für derartige Arbeiten
die Dienstleistung des ZDV auch auswärtigen Benutzern zur Verfügung.
Die Verbindung zu Kollegen aus dem Ausland ist über die Anfang
1973 gegründete ALLC (Association for Literary and Linguistic
Computing) gewährleistet. (Die Leitung einer "specialist group: Textual
Editing Techniques" liegt am ZDV Tübingen). Die Abteilung LDDV ist durch
ihre Kontakte zu anderen Instituten in der BRD und durch ihre Mitarbeit
in der ALLC in der Lage und bemüht, gleich oder ähnlich gelagerte
Projekte zu koordinieren sowie einen um Rat fragenden Benutzer an Fachkollegen
mit ähnlichen Problemen zu vermitteln. Um in Tübingen zwischen
den mit EDV arbeitenden Geisteswissenschaftlern direkte Kontakte herzustellen,
werden diese Kolloquien veranstaltet, auf denen zunächst
von Tübinger Projekten, später aber auch von auswärtigen berichtet
werden soll.
Kurzberichte über einzelne Projekte
Erika Bauer
Edition der Hieronymusbriefe von Heinrich Haller
Edition der Werke Heinrich Hallers (tätig 1464-1471), Kartäuser
in Schnals (Südtirol), Übersetzer religiöser Prosa (Predigten,
Paternoster-Auslegung, Hieronymusbriefe, Imitatio Christi etc.).
6 Bände Original, zum Hieronymus auch Konzept.
Zuletzt: Erika Bauer: Heinrich Haller, Übersetzungen im "gemeinen
Deutsch" (= Litterae 22). Göppingen 1972.
Edition des Hieronymus nach Codex Innsbruck UB 773 (227 Blätter): Text fehlerfrei
(nach 3 Korrekturgängen); druckfertig für Lichtsatz. Die Abweichungen
der Reinschrift vom Konzept mußten wegen der vielen Änderungen
(72,8 je 100 Zeilen) von Hand gemacht werden.
1. Authentischer Text (keine Abschreibfehler)
2. Nutzen für Lexikographie
und Sprachgeschichte des 15. Jahrhunderts; Rückläufiger Index für Wortbildungs-Untersuchungen;
Untersuchungen der Satzstruktur (zum Teil statistisch).
Albrecht Endriß
Die Prädestinationsschrift des Johann von Staupitz in der
Übersetzung von Christoph Scheurl (1517)
Staupitz war Generalvikar der deutschen Kongregation des
Augustiner-Eremiten-Ordens, Luthers Ordensvorgesetzter, Beichtvater,
Förderer und Vorgänger als Theologieprofessor in Wittenberg.
Edition der Prädestinationsschrift, die Anfang 1517 von Christoph
Scheurl herausgegeben und auch ins Neuhochdeutsche übersetzt wurde. Der
lateinische und der frühneuhochdeutsche Text sollen parallel ediert werden.
Einrichtung der Texte; nicht diplomatischer Abdruck, sondern
Normalisierung (z.B. im Lateinischen: u/v, i/j etc.), im Frühneuhochdeutschen
Probleme bei der Interpunktion, Groß- und Klein-, Getrennt- und Zusammenschreibung.
Alphabetische Zusammenstellung
des ganzen Wortmaterials, die als Grundlage dient für:
Abraham P. Kustermann
Registerband der Theologischen Quartalschrift
Registerband für ca. 75 Jahrgänge (1895-1970) der Theologischen
Quartalschrift (Tübingen); halbautomatisches Verfahren;
objektorientierte Methode; 6 Teilregister.
Ziel: Magnetband als Datenträger
für automatisches Lichtsetzverfahren
Hansjürgen Müller-Beck
Speckberg bei Eichstätt (Bayern). Verteilung archäologischer Objekte in Fläche und Straten
Hans-Peter Uerpmann
Archivierung und Auswertung des Informationsgehalts
von Tierknochenfunden aus archäologischen Zusammenhängen
Der Informationsgehalt der einzelnen Knochenfunde
wird als Datensatz auf Lochkarten archiviert. Eine Sicherung der
Daten erfolgt durch Übertragung auf eine Magnetbanddatei. Ein allgemeines
Sortierprogramm dient der selektiven Erfassung der Datensätze in
frei wählbarer Sortierung. Daneben existieren Einzelprogramme für die
Auswertung von Einzelinformationen (z.B. für die
Häufigkeitsverteilung von Tierarten, Altersgruppen usw.).
Der nicht metrische Informationsgehalt von Tierknochenfunden
ist stets eindeutig klassifizierbar, da auch "nicht bestimmbar" eine
eindeutige Aussage ist. Die Menge der vorkommenden Ausprägungsmöglichkeiten
der nicht metrischen Merkmale ist überschaubar. Es bot sich daher
an, den Informationsgehalt über einen Zahlencode zu verschlüsseln.
Die Verwendung von Schlüsselzahlen führt im Vergleich zur Textarchivierung
zu einer erheblichen Platzersparnis auf dem Datenträger und erleichtert
das Programmieren für die Auswertung. Der metrische Informationsgehalt
wird ohne Verschlüsselung als Zahlenwert auf den Datenträger
geschrieben. Selten auftretende Informationen, die eine Verschlüsselung
nicht lohnen, können als Kurztext angegeben werden. Der primären
Datenerfassung dient ein vorgedrucktes Blatt, dessen 80 Spalten entsprechend dem Eingabeformat gefeldert sind.
Das Ablochen der primären Datenlisten ist angesichts
der anfallenden Mengen ein arbeitstechnischer Engpaß. Eine automatische
Leseanlage für handgeschriebene Zahlen würde hier eine erhebliche Zeitersparnis
bringen. Ungünstig wirkt sich ferner die relative Kleinheit
des Tübinger Kernspeichers aus, der die Anzahl der auf einmal bearbeitbaren
Datensätze sehr begrenzt. Häufiges Aus- und Einspeichern verlängert
die Rechenzeiten und erschwert das Programmieren, insbesondere für Selbstprogrammierer.
Hauptreferat:
Der Wortindex als Hilfsmittel des Philologen
Paul Sappler
Es wurde über einen Wortindex zu Heinrich Kaufringer berichtet als
ein Beispiel dafür, wie die elektronische Datenverarbeitung in Anpassung
an die besonderen Bedingungen eines Einzelfalls weniger unter
technischem als unter philologischem Gesichtspunkt eingesetzt
werden kann. Eine wichtige Eigenart des Index ist seine Zusammengehörigkeit
mit einer neuen Ausgabe von Kaufringers Werken (1972); der
Index erleichtert nicht nur den Gebrauch der Textausgabe, sondern
war schon für die textkritische Arbeit von Nutzen, deren Fortschritten
er jeweils angepaßt wurde. Die gemeinsame Herstellung beider wird
durch den programmgesteuerten Lichtsatz insofern erleichtert, als er
es erlaubt, den die Grundlage des Index bildenden maschinenlesbaren
Text wie dann auch den Index ohne Zwischenschaltung des Setzers zu
veröffentlichen, und so Korrekturarbeit erspart. Die Brauchbarkeit
des Index hängt davon ab, daß seine Herstellung auch verschiedene
nicht ohne weiteres mechanisch ausführbare Teilarbeiten umfaßt, bei
denen ein rationelles Zusammenwirken des Philologen mit der Maschine
möglich sein muß. Dies betrifft vor allem die Lemmatisierung (mit den
Problemen der Normalsprache und Homographentrennung), die Einordnung
in grammatische Kategorien und die Aussonderung von Wortvorkommen in bestimmten Wendungen.
Liste der am ZDV durchgeführten Projekte
(Philologisches Seminar Tübingen: Wilhelm Ott)
(Vetus-Latina-Institut Beuron: Bonifatius Fischer)
(Ägyptologisches Institut Tübingen: Karola Zibelius)
(Münster: Kurt Aland)
(ZDV Tübingen)
(Vetus-Latina-Institut Beuron: Bonifatius Fischer)
(Institutum Judaicum Tübingen: Michael Krupp)
(Katholisch Theologisches Institut Tübingen: Abraham P. Kustermann)
(Deutsches Seminar Tübingen: Paul Sappler)
(Deutsches Seminar Tübingen: Paul Sappler)
(Romanisches Seminar Tübingen: Boedeker)
(Urgeschichte Tübingen: Albrecht)
(Seminar für Vergleichende Sprachwissenschaft Tübingen: Manfred Faust)
(Seminar für Vergleichende Sprachwissenschaft Tübingen: Peter Wagner)
(ZDV Tübingen)
(Universitätsarchiv Tübingen: Volker Schäfer)
(Evangelische Theologie Tübingen, SFB 8: Albrecht Endriß)
(Urgeschichte Tübingen: Hans-Peter Uerpmann)
(Englisches Seminar Tübingen: Joy Fischer)
(Archäologisches Institut Tübingen: Niclas von Lyncker)
(Deutsches Seminar Tübingen: Wilfried Barner)
(Würzburg: Georg Steer)
(Würzburg: Gabriele von Siegroth)
(ZDV Tübingen)
(ZDV Tübingen)
(Deutsches Seminar Tübingen: Erika Bauer)
(Urgeschichte Tübingen: Hansjürgen Müller-Beck)
Zur
Übersicht über die bisherigen Kolloquien
tustep@zdv.uni-tuebingen.de - Stand: 21. November 2003