Protokoll des 3. Kolloquiums über die Anwendung der
Elektronischen Datenverarbeitung in den Geisteswissenschaften
an der Universität Tübingen vom 18. Mai 1974
Hintergrund:
Weitere wichtige Eigenschaften des Verfahrens:
Es wird für alle irgend geeigneten Schritte die Datenverarbeitung eingesetzt.
Dazu sind 10 Programme entwickelt worden, die ungefähr die folgenden Bereiche
umfassen:
Die Entwicklung des Verfahrens ist vorerst abgeschlossen. Für die Muster-Edition
eines Ausschnittes aus Wolfram von Eschenbachs "Parzival" (300
Verse nach 19 Textzeugen, Gemeinschaftsarbeit mit Bernd Schirok) sind alle
maschinellen Arbeiten durchgeführt. Weitere Editionen sind nicht geplant.
Die Programme sind so geschrieben, daß damit bis zu 2000 Zeugen bearbeitet
werden können; die Lesarten können bei der Eingabe durch einen Code
gekennzeichnet werden, der eine Zusammenfassung einzelner Lesarten zu Lesartengruppen
erlaubt (z.B. orthographisch verschiedene Formen sachlich
gleicher Varianten), so daß entsprechend differenzierte Listen (z.B. mit
oder ohne Berücksichtigung orthographischer Varianten) ausgegeben werden
können.
Für die Ausgabe selbst ist vorgesehen, ausgehend von der Eingabe der vorverarbeiteten
Kollationsergebnisse den kritischen Apparat per Programm
zusammenzustellen.
Eine detaillierte Vorführung der vorhandenen Programme und der Möglichkeiten
des EDV-Einsatzes für derartige Überlieferungslagen könnte Thema
eines weiteren editionstechnischen Kolloquiums sein.
(Die Kurzfassungen der Referate wurden
von den Referenten zur Verfügung gestellt.)
Der Computer als Werkzeug des Herausgebers
Begrüßung und Einführung
Wilhelm Ott
Dieses Kolloquium zum Thema "Editionstechnik" ist gedacht als erste Konfrontation
mit diesem Anwendungsgebiet, das sich die Abteilung LDDV als
eines ihrer Hauptarbeitsgebiete gewählt hat.
Bericht aus der Abteilung LDDV:
Günter Kochendörfer
Maschinelle Rekonstruktion mehrfach überlieferter Texte
Es wurde ein Verfahren der Textrekonstruktion vorgestellt, das die Schwierigkeiten,
die für die "recensio" vor allem volkssprachlicher Überlieferungen
bestehen, zu bewältigen versucht. In den theoretischen Grundlagen auf
W.W. Greg und V.A. Dearing aufbauend, ist das Verfahren vor allem dadurch gekennzeichnet,
daß über "Rekonstruktionsformeln" für jede einzelne Teststelle
eine exakte Verbindung hergestellt wird zwischen Beobachtungen an der
zu bearbeitenden Überlieferung und dem rekonstruierten Text.
Es wird darauf verzichtet, an jeder Testtelle die Entscheidung für eine
einzige Variante herbeizuführen. Die Leistung des Verfahrens kann vielmehr
beschrieben werden als eine methodisch gesicherte Auswahl von Varianten aus
der Gesamtmenge der von der Überlieferung gebotenen. Der rekonstruierte
Text enthält auch im günstigsten Fall eine gewisse Zahl von Alternativen.
Die Schärfe der Rekonstruktion mißt sich an der Zahl der Alternativen im
Ergebnistext. Auf Grund des Rekonstruktionsergebnisses kann mit den bekannten
eklektizistischen Methoden ein linearer Lesetext hergestellt werden.
Es können beliebig komplexe, d.h. z.B. beliebig durch Kontamination gestörte
Überlieferungen exakt bearbeitet werden. Man riskiert nur, daß im Extremfall
das Auswahlverfahren nicht mehr zu einer Reduktion der von der Überlieferung
gebotenen Variantenzahl führt, daß der Rekonstruktionseffekt also
gleich null ist. In diesem Zusammenhang ist wichtig, daß überall nicht ausreichend
abzusichernde philologische Entscheidungen offengelassen werden
können.
Wilhelm Ott
EDV-Unterstützung bei der Untersuchung komplexer Überlieferungen
Es gibt Überlieferungslagen, bei denen ein Versuch einer Stemma-Erstellung
nicht sinnvoll ist. Beispiel: das griechische Neue Testament mit ca. 5000
griechischen Textzeugen.
Problem hierbei zunächst: feststellen, welche Zeugen unbeschadet übergangen
werden können.
Hierfür laufen Programme, die - bei Eingabe der Kollationsergebnisse des
kompletten Handschriften-Materials an ausgewählten Teststellen - zweierlei
leisten:
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Übersicht über die bisherigen Kolloquien
tustep@zdv.uni-tuebingen.de - Stand: 29. Januar 2002