Protokoll des 34. Kolloquiums über die Anwendung der
Elektronischen Datenverarbeitung in den Geisteswissenschaften
an der Universität Tübingen vom 6. Juli 1985

 

Allgemeine Information

Im Zentrum für Datenverarbeitung (ZDV) läuft inzwischen TUSTEP auf der BASF 7/88 unter dem IBM-Betriebssystem MVS.
 

Peter Hellwig (Germanistisches Seminar, Universität Heidelberg)

Bemühungen der Universität Heidelberg zur verstärkten Unterstützung der Geisteswissenschaften durch EDV

Zur Feier ihres 600jährigen Bestehens im Jahre 1986 hat die Universität Heidelberg eine Reihe von Initiativen geplant. Dazu gehört auch eine vermehrte Nutzung von Arbeitsplatzrechnern, wobei diese untereinander und mit den Großrechnern der Universität vernetzt sein sollen. Es wurde ein Gesamtkonzept ausgearbeitet, das den Namen "ABACUS Heidelberg" (von "ArBeitsplAtzComputer der UniverSität") trägt. Der Plan zielt nicht zuletzt darauf ab, in den Geisteswissenschaften, die sich bisher abwartend verhielten, die Einführung von EDV zu erleichtern.

Auf diesem Hintergrund sind zwei Projekte zu sehen, die im Sommer 1985 begonnen haben: das von der DFG geförderte Projekt PROTEXT und das aus der Forschungsschwerpunktförderung des Landes Baden-Württemberg finanzierte Projekt COLEX.
 

I. PROTEXT

Programmpaket mit endbenutzerfreundlichem Bedienungsrahmen zur Unterstützung geisteswissenschaftlicher Texterschließung in einem engen Verbund von Arbeitsplatzrechnern und Zentralrechner.

Ziel des Projekts ist es zunächst einmal, Programme für die Textbearbeitung und Texterschließung in Heidelberg verfügbar zu machen, um so die Voraussetzung für eine verstärkte Nutzung von EDV in den Geisteswissenschaften zu schaffen. Es sollen formal ähnliche Arbeitsgänge maschinell unterstützt werden, die in allen Textwissenschaften auftreten, wie z.B. die Segmentierung von Texten nach verschiedenen, z.T. inhaltlichen Kriterien, der Vergleich von Lesarten, die Klassifizierung von Texteinheiten, die Zurückführung von Varianten auf Grundformen, die Aufsuche von Belegen im Kontext, die Erstellung sortierter Konkordanzen und Register, die Anordnung zusammengestellter und bearbeiteter Daten für den Druck u.a.

Um die Nutzbarkeit zu vergrößern, sollen die Programme den Charakter eines Pakets erhalten, dessen innere und äußere Schnittstellen zueinander und zu anderen Programmen passen. Ein solches Paket dürfte umso brauchbarer sein, je besser es theoretisch fundiert ist. Es werden deshalb zunächst die Arbeitsgänge in der textwissenschaftlichen Forschung empirisch ermittelt. PROTEXT arbeitet zu diesem Zweck mit sechs bestehenden geisteswissenschaftlichen Projekten in Heidelberg zusammen. Diese erhalten Arbeitsplatzrechner gestellt und teilen dafür ihre Erfahrungen der Projektgruppe von PROTEXT mit.

Als nächstes ist zu beurteilen, welche der beobachteten philologischen Tätigkeiten ihrer Natur nach formalisierbar sind und daher vollständig vom Computer übernommen werden können, welche nur teilweise mechanisierbar sind und daher interaktiv von Mensch und Maschine erledigt werden müssen, und welche sinnvollerweise auch weiterhin der rein intellektuellen Bearbeitung vorbehalten bleiben sollten. Die Kriterien für diese Beurteilung müssen sich aus der Sprachtheorie ergeben, da es sich bei den philologischen Arbeiten ja um bestimmte Operationen mit sprachlichem Material handelt. (Um z.B. zu entscheiden, ob ein befriedigendes Programm zur Parallelstellensuche möglich ist, muß man klären, was überhaupt unter einer Parallelstelle verstanden werden kann.) Bei der Bestimmung der Grenzen des Computereinsatzes sollen die fortgeschrittenen Techniken in der Computerlinguistik und der Künstlichen Intelligenzforschung berücksichtigt werden. Das erste Ergebnis des Projekts PROTEXT wird also das Konzept zu einem Programmpaket sein, dessen ideale Moduln sich aus einer sprachtheoretischen Würdigung der empirisch beobachteten textwissenschaftlichen Tätigkeiten ergeben haben.

Eine wichtige Quelle für das Studium der in den Geisteswissenschaften benötigten EDV-Funktionen sind natürlich die bereits bestehenden Programme. Im Rahmen von PROTEXT wird ein Forschungsbericht über die existierende Software erstellt werden, wobei diese nach den oben genannten idealen Kriterien klassifiziert werden soll. Soweit Programmpakete vorhanden sind, die den Anforderungen bereits zu einem großen Teil genügen (wie vielleicht TUSTEP und einige andere), wird sich PROTEXT um Zusammenarbeit mit den Eigentümern bemühen und eine probeweise Implementierung auf dem Heidelberger Großrechner anstreben. Das Ziel des Projekts PROTEXT liegt dann darin zu untersuchen, welche der textverarbeitenden Funktionen sinnvollerweise auf den Arbeitsplatzrechner heruntergeholt werden können, wie diese mit der für PCs entwickelten kommerziellen Software in Verbindung gebracht werden könnnen und wie schließlich das Zusammenspiel von Arbeitsplatzrechner und Großrechner im Rahmen der Gesamtarchitektur am besten zu organisieren ist.
 

II. COLEX

"Untersuchung der Einsatzmöglichkeiten des Computers im Rahmen einer theoretisch fundierten lexikographischen Praxis".

Angesichts der Materialmengen, die bei der Herstellung eines Wörterbuches unter verschiedenen Gesichtspunkten zu bearbeiten sind, stellt sich die Frage nach den Möglichkeiten eines sinnvollen Einsatzes der elektronischen Datenverarbeitung auch in der Lexikographie. Im Projekt COLEX soll diese Frage in Zusammenarbeit zwischen Metalexikographie und Computerlinguistik beantwortet werden. Die Metalexikographie liefert eine Beschreibung der Einheiten, aus denen Lexikoneinträge bestehen, und, daraus abgeleitet, Prinzipien und Methoden, nach denen der Lexikograph solche Einträge zu erstellen hat. Die Computerlinguistik trägt fortgeschrittene Theorien und Verfahren der maschinellen Sprachverarbeitung zum Vorhaben bei. Es wird ein Modell einer Lexikographie entworfen werden, das Komponenten reiner Computerverarbeitung, der Mensch-Maschine-Interaktion und reiner menschlicher Bearbeitung enthält. Anschließend soll auf der Grundlage dieses Modells ein lexikographisches Programmsystem implementiert und in der Praxis eingesetzt werden. Da die zur Erschließung der Materialgrundlage benötigten Programme von PROTEXT entwickelt werden, ist als Schwerpunkt von COLEX die Frage nach einer Computerunterstützung der Erstellung von Bedeutungsbeschreibungen vorgesehen.
 

Wilhelm Ott

Der Tübinger Forschungsschwerpunkt "Wissenschaftliche Textdatenverarbeitung": Bericht und Einladung zur Mitarbeit

Im März 1985 hat das Ministerium für Wissenschaft und Kunst Baden-Württemberg einem Antrag der Universität Tübingen entsprochen und stellt "zur Ergänzung der Grundausstattung des o.g. Forschungsschwerpunktes" bis Ende 1989 zusätzliche Mittel zur Verfügung.
 

I. Die vorhandene Grundausstattung

1. Einsatz der EDV in den Geisteswissenschaften an der Universität Tübingen

Die bisherige Tätigkeit der Universität Tübingen auf dem Gebiet der wissenschaftlichen Textdatenverarbeitung umfaßt Projekte aus nahezu allen geisteswissenschaftlichen Fachgebieten, angefangen von der Archäologie, der Ägyptologie über die übrigen alten und neuen Philologien und Literaturwissenschaften, die Religionswissenschaft und Theologien, die Geschichtswissenschaft bis hin zum Archiv- und Bibliothekswesen. Einen guten Überblick darüber geben die bisherigen 34 Protokolle der Tübinger Kolloquien zum Einsatz der EDV in den Geisteswissenschaften.

Sachlich bzw. methodisch lassen sich diese Arbeiten mit folgenden Stichworten umreißen: Editionstechnik, Textkritik, automatisches Kollationieren unterschiedlicher Textfassungen, elektronische Satzherstellung; Index- und Register-Herstellung, Konkordanzen; Wortschatz-Untersuchungen; Wörterbücher; Lexikologie, Lexikographie; Verzeichnisse aller Art (bis hin zum Telefonbuch); Bibliographien, Dokumentation; Erschließung historischer Quellen; metrische und stilistische Analysen und Untersuchungen.

2. Die organisatorische und technische Infrastruktur

Organisatorisch ist dieser Schwerpunkt in die Abteilung Literarische und Dokumentarische Datenverarbeitung am Zentrum für Datenverarbeitung (ZDV) der Universität eingebunden. Diese Abteilung wurde (nach entsprechenden Vorarbeiten seit 1966) im September 1970 offiziell eingerichtet mit der Aufgabe der Entwicklung und Betreuung von Methoden und Programmen zur Verarbeitung von Textdaten aller Art. Dadurch sollte vor allem den geisteswissenschaftlichen Fachbereichen der Universität Zugang zu dem für sie relativ neuen Hilfsmittel EDV ermöglicht werden.

3. Das Tübinger System von Textverarbeitungsprogrammen TUSTEP

TUSTEP ist die Frucht langjähriger Zusammenarbeit mit vielen Einzelprojekten auf den genannten Gebieten. Wissenschaftliche Anforderungen und Erfahrungen aus einer Vielzahl von kleinen und großen Projekten sind darin eingeflossen; Datenverarbeitungs-Fachleute haben diese gesammelt und im Lauf der Jahre dem Geisteswissenschaftler ein flexibles, benutzerfreundliches, sicheres und effizientes Werkzeug für seine Aufgaben zur Verfügung stellen können.

Zwei Forderungen waren bei der Entwicklung dieses Werkzeuges zu erfüllen: Es muß von Wissenschaftlern ohne Programmierkenntnisse oder sonstige tiefere EDV-Kenntnisse effizient und sicher eingesetzt werden können und trotzdem so flexibel sein, daß es den unterschiedlichsten Aufgabenstellungen gerecht wird.

Dies spiegelt sich im Grundkonzept von TUSTEP wider: Es stellt für die wichtigsten Grundoperationen der Textdatenverarbeitung jeweils eigene Programme mit jeweils streng begrenztem Aufgabenbereich zur Verfügung; der Benutzer kann und muß diese seinem Problem entsprechend in vielfältiger Weise kombinieren und zu größeren Kommandofolgen zusammenstellen. Dabei kann er die Leistung der einzelnen Programme in einer problemnahen Notierung über Parameter genau spezifizieren und seiner Aufgabe anpassen.

So enthält TUSTEP beispielsweise kein Programm zur Registererstellung; dazu müssen die Programme REGISTER-VORBEREITE (zum Zerlegen von Texten in die gewünschten Bestandteile bzw. zum Herausziehen der Registerbegriffe aus Texten und zur Vorbereitung der Sortierung), SORTIERE (zum eigentlichen Umordnen der Sortiereinheiten) und REGISTER-AUFBEREITE (zum Zusammenfassen sortierter, ggf. hierarchisch gegliederter Registereinträge) hintereinander benutzt werden; bei Bedarf können andere Programme (z.B. zur weiteren Ergänzung der Registereinträge aus anderen Dateien) dazwischengeschoben oder (z.B. zur weiteren Aufbereitung oder zur Ausgabe über Lichtsatz statt über DV-Drucker) nach REGISTER-AUFBEREITE angehängt werden. Das so aufbereitete Register kann wieder Ausgangspunkt für andere Register (z.B. ein Häufigkeitswörterbuch) sein. Gerade durch diese freie Kombinierbarkeit der Programme wird eine beträchtliche Flexibilität erreicht.
 

II. Ziele der Förderung

Die Ziele des Schwerpunkts lassen sich in drei Schlagworten zusammenfassen :

  1. das bisher Erreichte sichern, konsolidieren und einem größeren Kreis (auch außerhalb von Tübingen) zugänglich machen,
  2. das Werkzeug weiterentwickeln in Kooperation mit alten und neuen geisteswissenschaftlichen Projekten,
  3. die Infrastruktur für den fruchtbaren Einsatz der Datenverarbeitung in den Geisteswissenschaften verbessern.

Hierzu wurden sowohl Personalmittel als auch Sachmittel für Investitionen bereitgestellt: Insgesamt drei wissenschaftliche Angestellte (davon eine Stelle für den Problemkreis rechnergestützte Lexikographie und Registererstellung, für den Paul Sappler verantwortlich ist) und ein Programmierer sollen bei der Bewältigung dieser Aufgaben helfen; mit den Sachmitteln sollen vor allem die Möglichkeiten zur Ein- und Ausgabe von Textdaten dem heutigen technischen Stand angepaßt werden.

1. Am wenigsten nach außen auffällige Resultate wird die Konsolidierung und Sicherung des bisher Erreichten zeigen: Die interne Systemdokumentation mußte mit den bisher zur Verfügung stehenden Mitteln ebenso (oder noch mehr) zu kurz kommen wie die Beschreibungen zur Benutzung von TUSTEP. Die bisher vorhandenen Beschreibungen können zum Nachschlagen dienen, sind aber nicht als Einführung geeignet. Sie sollen vervollständigt und möglichst um eine TUSTEP-Einführung, die auch zum Selbststudium geeignet ist, erweitert werden.

Um TUSTEP einem größeren Kreis zugänglich zu machen, muß es auf weiteren Anlagen implementiert werden (zum Zeitpunkt der Antragstellung war es nur auf SPERRY 1100-Anlagen verfügbar; inzwischen läuft es auch unter dem IBM-Betriebssystem MVS), auch auf solchen, die bisher nicht als zentrale Anlagen der Universität Tübingen im Zentrum für Datenverarbeitung betrieben werden. Dabei ist an die Betriebssysteme (in alphabetischer Reihenfolge) BS2000, UNIX, VM, VMS gedacht; welche dieser Implementierungen überhaupt und zu welchem Zeitpunkt durchgeführt werden können, hängt auch davon ab, wann und unter welchen Bedingungen uns diese Systeme zur Verfügung stehen. - Eine weitere Aufgabe sehen wir darin, im Laufe des Projekts eine Übertragung der Dokumentation, der Fehlermeldungen und der Kommandosprache ins Englische vorzubereiten.

2. Lösungen für neue Aufgabenstellungen können nur (ähnlich wie schon bisher) in Zusammenarbeit mit konkreten Einzelprojekten erarbeitet werden; vor allem auf dem Gebiet der Register-Erstellung und der Lexikographie sind auch bei bisherigen Projekten schon Fragestellungen bzw. Arbeitsgänge aufgetreten, die noch nicht ausreichend von TUSTEP unterstützt werden (z.B. der Problemkreis der Lemmatisierung oder der redaktionellen Arbeit an Registern). Hierzu ist neben der intensiveren beratenden Begleitung solcher Einzelprojekte eine detaillierte Analyse der dafür notwendigen Grundoperationen und der Möglichkeit ihres Einbaus in vorhandene oder neu zu schreibende Programme zu leisten.

3. Am schnellsten sichtbar werden die Verbesserungen der Infrastruktur sein, die mit den Investitionsmitteln zu erreichen sind:

Schon beschafft wurde ein Blattleser, mit dem sechs verschiedene Schreibmaschinenschriften gelesen werden können, und der eine bequeme und kostengünstige Datenerfassung über die Schreibmaschine auch weiterhin ermöglichen soll. In der Vergangenheit wurde dazu der OCR-Leser der Universität Ulm in Anspruch genommen, der jedoch inzwischen nicht mehr zur Verfügung steht.

Ebenfalls in Betrieb genommen wurde inzwischen ein Gerät zur Datenübernahme von Disketten auf Magnetband; es erschließt vor allem die verschiedenen Personal Computer und Textverarbeitungssysteme als Eingabe-Medien für die wissenschaftliche Textdatenverarbeitung. Mit diesem Gerät können derzeit rund 200 verschiedene Formate von 8- und 5 1/4-Zoll-Disketten gelesen (und geschrieben) werden; 3 1/2-Zoll-Formate werden im Laufe des Jahres hinzukommen. Das gleiche Gerät erlaubt auch, Daten, die auf dem Großrechner erarbeitet wurden, vom Magnetband auf Disketten zu überspielen und damit (z.B. für Zwecke der Lehre) auf Personal Computern zu verwenden.

Noch vor Jahresende wird ein KDEM-Omnifont-Leser zur Verfügung stehen. Er kann gedruckte Texte in einer Vielzahl von verschiedenen Schriftarten und -größen direkt aus Büchern einlesen und in einer für die Weiterverarbeitung geeigneten Form abspeichern. Vor allem für Projekte aus dem Bereich des Editionswesens, der inhaltlichen oder formalen Erschließung und Beschreibung von literarischen Texten, der Lexikographie und der Dokumentation bedeutet dies nicht nur eine Erleichterung und Beschleunigung der Arbeit, sondern ermöglicht auch Arbeitsgänge, die wegen des mit der Datenerfassung über Tastaturen verbundenen Aufwands bisher praktisch nicht durchführbar waren.

Schließlich wird ein elektronischer Drucker mit großem Zeichenvorrat, guter Druckqualität, akzeptabler Druckgeschwindigkeit und gegenüber dem Lichtsatz deutlich niedrigeren Kosten zur Ausgabe der erarbeiteten Daten zur Verfügung stehen.
 

III. Zur Organisation

Der Betrieb der neuen Geräte ist Aufgabe des Zentrums für Datenverarbeitung; sie stehen (bis auf den Laserdrucker) den Forschungseinrichtungen des Landes Baden-Württemberg unentgeltlich zur Verfügung. Für die Programmierung und die Dokumentation wird wie bisher die Abteilung Literarische und Dokumentarische Datenverarbeitung des ZDV verantwortlich sein.

Die Anpassung von TUSTEP an neue Aufgabenstellungen jedoch hat eine ähnlich intensive Zusammenarbeit mit Projekten aus den entsprechenden geisteswissenschaftlichen Fachgebieten zur Voraussetzung, wie sie sich in der Vergangenheit schon bewährt hat. Eine Einladung zu solcher Mitarbeit kann nun auch über Tübingen hinaus ausdrücklich ausgesprochen werden: denn dies war eine der Voraussetzungen für diese Förderung, mit der unsere bisherige Arbeit als Forschungsschwerpunkt des Landes anerkannt wurde.
 

Paul Sappler (Deutsches Seminar)

Planungen zum Problemkreis "Rechnergestützte Lexikographie und Registererstellung"

Das Teilprojekt "Rechnergestützte Lexikographie" ergänzt den Forschungsschwerpunkt "Wissenschaftliche Textdatenverarbeitung" insofern, als es eine spezifische philologische Anwendung und Weiterentwicklung von TUSTEP zum Ziel hat. Index- und Konkordanzherstellung ist eine Standardaufgabe in TUSTEP; dafür sind reiche Möglichkeiten vorhanden, die auch Ansätze zur Lemmatisierung umfassen. Es liegt nun nahe und kommt wohl einem Bedürfnis entgegen, diesen letztgenannten Bereich auszubauen und den Übergang zum philologisch verantworteten Wörterbuch anzustreben. Damit würde eine Lücke in einer längeren Entwicklung geschlossen.

Die Kunst des Wörterbuchmachens hat ja eine lange Tradition und hat (z.B. im Bereich des älteren Deutsch seit Anfang des 19. Jahrhunderts) trotz verschiedener Qualität der entstandenen Lexika, die zudem verschiedene Typen repräsentieren, schon lange ein bestimmtes Niveau erreicht. Das Aufkommen der EDV-Indices brachte hier einen Sprung, der keineswegs nur positiv war. Der große Ausstoß, die geringere Fehlerhaftigkeit und die Konsequenz in der Durchgestaltung können die Beschränkung auf Graphematisches und philologisch einfachste Gesichtspunkte nicht aufwiegen. Die Ungeschicklichkeiten, die vielleicht Kinderkrankheiten sind, reichen von schlechter Wahl der Materialbasis über irreführende Kodierung und Sortierung bis zu einer Typographie, die nur zu häufig die Brauchbarkeit gefährdet. Zwar gab es hier durchaus Verbesserungen und Fortschritte, aber es klafft doch immer noch ein Abgrund zwischen guten Indices und Konkordanzen und einem gepflegten Wörterbuch alter Art, etwa einem Bedeutungswörterbuch mit Angabe von sinnvoll abgegrenzten stehenden Wendungen, syntaktischer Differenzierung, zusammenfassenden Bemerkungen zu graphemischer und morphologischer Variation usw.

In dieser Situation ist es wünschenswert, daß die EDV-Erzeugnisse wörterbuchähnlicher werden. Es ist Ziel des Projekts, ein Verfahren zu entwickeln, das es dem Philologen erleichtert, seine sprachlichen Kommentare, Bedeutungsdifferenzierungen, seinen Sachverstand, vieles, was die Kunst des Lexikographen ausmacht, in die Lexika, die mit Maschinenhilfe entstehen, hineinzubringen. Dabei wird der Bearbeiter einerseits vom Rechner zu Präzision und weitgehender Konsequenz angehalten, und er bekommt auch einige Hilfe, z.B. solche gegen die vielen Unfälle früherer Wörterbuchmacher wie den Verlust oder das Verlegen von Belegzetteln, Verschreibungen im angeführten Text oder in den Stellenangaben, Veralten der Materialbasis durch das Erscheinen neuer Ausgaben oder ähnliches; andererseits soll etwas von der alten Ausdrucksfreiheit zurückgewonnen werden, auf die die Lexikographen des beginnenden EDV-Zeitalters allzu bereitwillig verzichtet haben.

Folgende Hauptprobleme müßten auf diesem Weg gelöst werden:

  • Normalisierung: Grundlage von Wörterbüchern müssen unnormalisierte Texte verschiedener Sprachen und Sprachstufen sein können;
  • Lemmatisierung: die Flexionsformen und Schreibvarianten eines Wortes (oder auch die Wörter einer Wortfamilie) müssen richtig zusammengeführt werden;
  • Homographentrennung;
  • Verarbeitung von Mehrwortgefügen: Wortgruppen müssen sinnvoll erfaßt werden, angefangen von getrennten Präfixverben über Abweichungen von den späteren Wortzusammenschreibungsregeln, Funktionsverbgefügen bis zu festen Wendungen; allgemeiner geht es um syntaktische Bezüge im Text;
  • Berücksichtigung von Textvarianten und (bei Übersetzungstexten) von Vorlagenbezügen;
  • Einführung differenzierter Bedeutungsangaben, und dies nicht nach einem vorgängigen Schema, sondern eben so, wie sich dem Wörterbuchbearbeiter beim Formulieren allmählich die Bedeutungsstrukturen herauskristallisieren.
Eine wesentliche Aufgabe wird es sein, solche Informationen, die nicht mit dem Text gegeben sind, sondern explizit oder in Form von Anordnung ins Wörterbuch hineingekommen sind, nach Möglichkeit auf weitere ähnliche Fälle übertragbar zu machen.

Ergebnis des Projekts soll nicht ein bestimmtes Wörterbuch sein, sondern ein Programmpaket als Angebot an Philologen, etwas für die lexikalische Erschließung "ihres" Textes zu tun, des Textes, mit dem sie sich z.B. editorisch beschäftigen (vorderhand scheint es besser, sich Lexika zu kleineren Corpora vorzunehmen als gleich ein Langue-Wörterbuch). Die Programme können aber nicht im leeren Raum entwickelt werden, sondern nur in der Praxis, nämlich in Verbindung mit konkreten Lexikonplänen. Die (durchaus noch offene) Reihe der Pläne umfaßt Wörterbücher zum mittellateinischen Versroman "Ruodlieb", zu den Schriften Heinrich Hallers, eines bedeutenden spätmittelalterlichen Übersetzers geistlicher Prosa ins Deutsche, zu deutschen mystischen Texten und zu Gottfrieds von Straßburg "Tristan".
 

Diskussion

Der unüberschaubare und rasch fluktuierende Markt von Hardware und Software im PC-Bereich erschwert die Auswahl geeigneter Geräte und Programme für den Arbeitsplatz des Philologen. Wichtig ist in jedem Fall der Zugang zum Großrechner mit seiner leistungsfähigen Software durch Übertragung der Daten vom und zum PC. Die häufig vertretene These von der Alternative zwischen Großrechner und PC sollte daher korrigiert werden hin zu einer sinnvollen Arbeitsteilung zwischen Großrechner und PC.

Angeregt wurde ein TUSTEP-Informationsdienst für die TUSTEP-Benutzer außerhalb von Tübingen und die Bildung einer überregionalen Interessengemeinschaft der TUSTEP-Benutzer.

Bei den abschließenden Überlegungen zur Kombinierbarkeit der Heidelberger und Tübinger Bemühungen um ein angemessenes Arbeitsinstrument für die Geisteswissenschaftler wurde von Seite der Heidelberger Teilnehmer die Frage gestellt, ob die Benutzeroberfläche von TUSTEP veränderbar sei. Dies wurde verneint, weil die Benutzeroberfläche ein wesentlicher Bestandteil der Konzeption von TUSTEP und tief in der Struktur von TUSTEP verankert ist. Die anwesenden TUSTEP-Anwender brachten zum Ausdruck, daß kein Wunsch nach einer Änderung der Benutzeroberfläche besteht.

 
(Die Kurzfassungen der Referate wurden von den Referenten zur Verf�gung gestellt.)


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Übersicht über die bisherigen Kolloquien
tustep@zdv.uni-tuebingen.de - Stand: 2. September 2003