Protokoll des 39. Kolloquiums über die Anwendung der
Elektronischen Datenverarbeitung in den Geisteswissenschaften
an der Universität Tübingen vom 14. Februar 1987

 

Allgemeine Information

Datentransfer zwischen PC und Großrechner

Der Personal Computer kann jetzt noch bequemer zur Datenerfassung für TUSTEP eingesetzt werden. Texte, die mit WORD, WORDPERFECT, WORDSTAR oder PC-Write erstellt worden sind, können jetzt mit dem im Forschungsschwerpunkt 08 frei erhältlichen Programm KONVERT nach TUSTEP-Konventionen umgewandelt werden. Dies betrifft u.a. die Kodierung der Umlaute, der Akzentbuchstaben und der häufigsten Auszeichnungen wie Unterstreichung, Fettdruck, Kursivdruck. Das Programm ersetzt gleichzeitig die übrigen 8-Bit-Codes des IBM-Extended-ASCII-Code durch eine 7-Bit-Codierung, die für die Übertragung der Dateien über KERMIT notwendig ist. Die so umgewandelten Dateien können über den Diskettenkonverter des FSP 08 oder, wo ein am PLANET-Netz des ZDV angeschlossener PC zur Verfügung steht, direkt über KERMIT auf die BASF übertragen werden. Ein Merkblatt zum Datenaustausch zwischen PC und Großrechner steht zur Verfügung.
 

Bernhard Mann, Thomas Kühne (Historisches Seminar)

Datenhandbuch der Mitglieder des preußischen Abgeordnetenhauses 1867 bis 1918

Summary

The Handbook contains short biographies of the 2659 members of the Prussian Chamber of Deputies during the period 1867-1918. The quantity of the material recommended electronic data processing. The TUSTEP programs enabled us to manage research, completion and correction of data as well as their preparation for statistical analysis. Publication was considerably facilitated by TUSTEP's great flexibility in arranging the biographical information, in the preparation of indexes, and above all by its professional typesetting capability.

Das hier vorzustellende Datenhandbuch preußischer Parlamentarier ist ein Nebenprodukt eigener Forschungen zur Geschichte des preußischen Landtags während der Zeit des Kaiserreichs und soll anderen Forschern als Hilfsmittel dienen. Es verzeichnet Namen, Wohnort, "Stand", Dauer der Mitgliedschaft, Wahlkreis und Fraktionszugehörigkeit aller 2659 Abgeordneten, die dem preußischen Abgeordnetenhaus zwischen 1867 und 1918 angehört haben. In den allermeisten Fällen konnten für die Biographie der einzelnen Abgeordneten und die Soziographie des ganzen Abgeordnetenhauses wichtige weitere Daten ermittelt und aufgenommen werden.

Zwar sind längst nicht alle Möglichkeiten zur Gewinnung weiterer Informationen ausgeschöpft - auch die Forschung hat ihre Ökonomie! Aber der jetzige Bearbeitungsstand rechtfertigt doch schon eine Publikation in Buchform, die wiederum neue Informationen erwarten läßt. Wie ähnliche Unternehmungen zeigen, können wir hoffen, daß die Benutzer des gedruckten Handbuchs Korrekturvorschläge und weitere Daten mitteilen werden, die der Forschung und der Verbesserung des Handbuchs zugute kommen würden. Auf jeden Fall wird das Buch in den allermeisten Fällen den zeitraubenden Rückgriff auf die meist nur noch in ganz wenigen Exemplaren vorhandenen Primärquellen (das sind vor allem die ursprünglichen Parlamentshandbücher und die amtlichen Drucksachen des Abgeordnetenhauses) unnötig machen. Außerdem bietet es die in den alten Parlamentshandbüchern für nur jeweils drei oder fünf Jahre enthaltenen Daten in kumulierter Form.

Die Arbeit wurde mit Hilfe der EDV, genauer: mit Hilfe der TUSTEP-Programme, durchgeführt. Solch große Datenmengen sollten nicht mehr konventionell mit Karteien verwaltet werden; selbst bei der Verwendung von Randlochkarten werden Auswahl und Sortierung nach bestimmten Kriterien zu arbeitsaufwendig und damit zu teuer.
 

Datenformat

Beim Übergang von den Randlochkarten auf die EDV war zuerst zu klären, in welcher äußeren Form die Daten erfaßt werden sollten. Wir haben uns, um bei Auswertung und Drucklegung der Daten möglichst flexibel zu sein, für ein analytisches Datenformat entschieden, also für eine weitgehende Aufgliederung der Informationen in jeder Kurzbiographie, die wir auf rund 40 verschiedene Rubriken verteilten:

  • Die Rubriken 1 bis 4 enthalten Namen, Vornamen, gegebenenfalls das Adelsprädikat und den akademischen Grad.
  • In Rubrik 5 wurden die Anfangs- und Endjahre der Mitgliedschaft untergebracht, zudem die Selbstbezeichnungen und die Wohnorte nach den amtlichen Drucksachen, jeweils für das Anfangs- und das Endjahr (bzw. für das Endjahr allein, wo sich während der Parlamentszugehörigkeit nichts geändert hat).
  • In Rubrik 6 stehen die Parlamentsämter (Mitgliedschaft im Präsidium, Vorsitz eines Ausschusses).
  • Die für Parteiämter vorgesehene Rubrik 7 haben wir mit Rubrik 38 vereinigt.
  • Rubrik 8 enthält Angaben über die Mitgliedschaft im Abgeordnetenhaus bis 1866, dem um 80 Mitglieder kleineren Parlament des alten Preußen vor den Annexionen von 1866. Für diese Zeit, die 1. bis 9. Wahlperiode ("Legislaturperiode") 1849 bis 1866 (und darüber hinaus bis 1877), existiert ein älteres Handbuch, dessen Angaben wir einfach übernehmen konnten;
  • auf die laufenden Nummern dieser Vorgängerpublikation ist in Rubrik 9 verwiesen.

  • In den Rubriken 10 bis 22 folgen die parlamentsgeschichtlichen Kerndaten, nämlich die Angaben über die Mitgliedschaft im Abgeordnetenhaus zwischen 1867 und 1918, in der 10. bis 22. Legislaturperiode, und zwar in der Reihenfolge: Legislaturperiode, ggf. Sitzungsperiode ("Session") - Wahlbezirk in Kurzform - Fraktion.
  • Rubrik 23 bringt Ergänzungen zu 10 bis 22, wie Datum von Nachwahl, Ausscheiden u.ä.

  • Die Rubriken 24 bis 29 enthalten Geburtsdatum, Geburtsort, Konfession, Todesdatum und Todesort,
  • Rubrik 30 Angaben zu Bildung und Ausbildung,
  • Rubrik 31 den im Militärdienst erreichten Rang.
  • In Rubrik 32 haben wir die "Karrieredaten" untergebracht: eine Schlüsselzahl für 9 Kategorien, auf die in runden Klammern nach dem Schema "wann, was, wo?" chronologisch Klartextangaben zum beruflichen Werdegang folgen.
  • Rubrik 33 enthält die Besitzverhältnisse (ebenfalls nach Kategorien),
  • Rubrik 34 die Amtskategorien,
  • Rubrik 35 Ehrenämter und Ehrentitel ("Justizrat", "Kommerzienrat" usw.).
  • In Rubrik 36 stehen Betätigungen in der kommunalen, wirtschaftlichen oder kirchlichen Selbstverwaltung,
  • in Rubrik 37 die Mitgliedschaft in anderen Parlamenten.
  • In Rubrik 38 kommen Partei- und Fraktionsämter,
  • in Rubrik 39 die Mitgliedschaft in Interessenverbänden.
  • Rubrik 40 enthält Angaben über eine publizistische Tätigkeit,
  • Rubrik 41 über sonstige wichtige "Ereignisse" (wie z.B. Nobilitierung, aber auch politische Verfolgung),
  • Rubrik 42 schließlich verwandtschaftliche Beziehungen.

Die Kurzbiographie eines Abgeordneten, über den wir gut informiert sind, hat in der Arbeitsdatei folgende Form:

@1Rickert
@2Heinrich
@51870 (Stadtrat; Danzig) - 1902 (Landesdirektor a.D.; Zoppot-Karlikau)
@9L1886
@1111: Danz 2; NL
@1212 = 11
@1313 = 11
@1414,1: Danz 2; NL
@1414,2: Danz 2; LibV
@1414,3: Danz 2; LibV
@1515 = 14
@1616: Danz 2; DFsP
@1717 = 16
@1818: Danz 2; FsVg
@1919,1: Danz 2; FsVg
@1919,2: Danz 2; FsVg
@1919.3: Danz 2; FsVg
@1919,4: Danz 2; FsVg
@24(27.Dez.) 1833
@25Putzig/Westpreußen
@27ev
@28(3. Nov.) 1902
@29 Berlin
@30Studium in Breslau und Berlin
@324,9 (1876-1878 Landesdirektor Preußen; Mitarbeiter, dann Redakteur, schließlich Verleger der "Danziger Zeitung")
@331,3 (Gut in Westpreußen)
@342
@36ProvinzialLT
@371874-1902 RT
@381867, 1877-1881 im Vorstand der NLP, später führendes Mitglied der DFsP
@39Bauernverein Nord-Ost (Begründer); Abwehrverein gegen den Antisemitismus (Mitbegründer)
@40Publizistik
@42Vater des gleichnamigen Philosophen (1863-1936)

Bei der Anordnung der Informationen in Rubrik 10 bis 22 mußten zwei verschiedene Wünsche berücksichtigt werden: zum einen sollte die Eingabe dieser Daten möglichst wenig Schreibaufwand verursachen, zum anderen sollten sie aber doch so differenziert sein, daß die maschinelle Sortierung und Auswertung nicht nur nach Legislaturperioden, sondern auch nach Sessionen möglich wäre.

Für jede Legislaturperiode ist daher eine besondere Rubrik vorgesehen. Wo keine inhaltlichen Änderungen eingetreten sind, werden diese Informationen für die nächste(n) Legislaturperiode(n) nicht wiederholt, vielmehr mit Gleichheitszeichen auf die vorangehende(n) verwiesen. Dagegen werden die entsprechenden Informationen nicht nur für die Legislaturperiode, sondern für deren einzelne Sessionen angegeben, wenn innerhalb einer Legislaturperiode Änderungen eintraten oder der Abgeordnete dem Parlament nicht während der gesamten Legislaturperiode angehörte.

Mit den Programmen war es bei Bedarf möglich,

  1. diese Gleichheitszeichen aufzulösen, also die vollständigen Informationen für jede Legislaturperiode per Programm einzusetzen, und
  2. die Legislaturperioden zu drei oder fünf Sessionen zu vervielfachen.
Das erlaubte schließlich ein Sortieren nicht nur nach Legislaturperioden, sondern auch nach einzelnen Sessionen, also nach Jahren.
 

Vollständigkeitsprüfung

Nachdem der Grundbestand an Daten gemäß diesen Erfassungskonventionen von den Randlochkarten mit Schreibmaschine auf OCR-A-Belege übertragen und schließlich in den Tübinger Rechner eingelesen war (Ende 1983), mußte zuerst überprüft werden, ob wir tatsächlich alle Personen, die irgendwann zwischen 1867-1918 einmal Mitglied des Abgeordnetenhauses (MdA) waren, registriert, und ob wir deren Mitgliedszeiten immer korrekt verzeichnet hatten.

Als Quellengrundlage für die Vollständigkeitsprüfung boten sich die alphabetisch geordneten Mitgliederverzeichnisse an, die den Parlamentsprotokollen am Ende jeder Session beigefügt worden waren.

Das Datenformat der Rubriken 10-22 ermöglichte es, für jede einzelne Session (insgesamt 48 zwischen 1867 und 1918) die MdA herauszuziehen, die nach unseren Daten dem Hause in der betreffenden Session angehört hatten, und in einer den damaligen Mitgliederlisten sehr ähnlichen Form auszudrucken. Das erleichterte den manuellen Vergleich der Quellen mit unseren Daten sehr und stellte ihn auf eine zuverlässige Grundlage. Im Ergebnis haben wir nicht nur unzählige Korrekturen der Mitgliedszeiten vornehmen können, sondern vor allem auch rund 10 MdA entdeckt, deren Existenz uns bis dahin unbekannt geblieben war.

Die MdA-Datei konnte danach noch einmal von einem ganz anderen Ansatzpunkt aus auf Vollständigkeit und Richtigkeit überprüft werden, nämlich aus der Perspektive der Wahlkreise. Dazu wurde die MdA-Datei alphabetisch nach Wahlkreisen und innerhalb des Wahlkreises chronologisch nach Eintrittsjahren ins Abgeordnetenhaus geordnet. Mit dieser Wahlkreisliste ließ sich recht sicher kontrollieren, ob alle Wahlkreise ununterbrochen und vollständig (es gab Wahlkreise mit einem, zwei oder drei Abgeordneten!) vertreten waren.
 

Recherchen mit Teilausdrucken

Auch die Komplettierung und Korrektur der einzelnen Biographien erleichterte die EDV beträchtlich. Bei vielen Abgeordneten fehlten das Geburtsdatum (das wir für die Erforschung der Altersstruktur des Abgeordnetenhauses wissen wollten), erst recht das Todesdatum (das die Suche nach Nachrufen erleichtert), und genauere Informationen über Beruf, Besitz, Bildung usw. Die speziellere regional-, partei-, sozial- und universitätsgeschichtliche Literatur konnte viel leichter (und effektiver) ausgewertet werden, indem sie nicht jeweils mit allen Kurzbiographien verglichen wurde, sondern nur mit Teilausdrucken der in Frage kommenden Abgeordneten. Auf diese Weise war es z.B. möglich, die Angaben zu den Mitgliedern der polnischen Fraktion, die meist Wahlkreise in den Provinzen Posen und Westpreußen vertraten, mit den polnischen biographischen Sammelwerken abzugleichen und erheblich zu vermehren. Solche Teilausdrucke wurden dann auch an verschiedene Archive, Forschungsinstitutionen und Einzelforscher verschickt, die viel zur Ergänzung und Korrektur unserer Informationen beigetragen haben.
 

Plausibilitätsprüfungen

Die Eliminierung materieller Fehler der Daten konnte durch maschinelle Plausibilitätsprüfungen vorbereitet werden. Listen von Abgeordneten, die nach unseren bisherigen Angaben dem Hause noch nach ihrem Tode angehört hatten - oder auch vor ihrer Geburt, oder die vor Erreichen des passiven Wahlalters von damals 30 Jahren in das Haus eingetreten waren, zeigten uns, wo wir noch einmal nachforschen mußten. Vertauschte Ziffern, falsche Jahreszahlen sind ja das Kreuz aller derartigen Handbücher!
 

Formale Vereinheitlichung der Daten

Ein weiterer Arbeitsschritt, der mit Hilfe der EDV bewältigt wurde, war die formale Vereinheitlichung der Daten. Unser anfänglich noch recht unzulängliches Bewußtsein für EDV-gerechte Dateneingabe hatte zu nicht genügend präzisen Erfassungs- und Schreibkonventionen geführt mit der Folge, daß Anordnung und Schreibweise der Daten gleicher Rubriken oft erheblich differierten. Die hier für statistische Auswertungen und für die Drucklegung erforderliche Vereinheitlichung wurde durch Rubrikenausdrucke erleichtert und auf eine sichere Basis gestellt. Für viele Rubriken zeigten Registerausdrucke, wo und wie oft einzelne Wörter oder Datenkomplexe falsch oder uneinheitlich geschrieben waren.
 

Maschinelle Einfügung neuer Datenkomplexe

Als hilfreich erwies sich auch die Möglichkeit, bis fast zum Schluß mit Siglen oder Abkürzungen zu arbeiten, die Schreibarbeit ersparen und weniger (schreib-)fehleranfällig sind. Auch reduzieren sie den Umfang der Datei, die dadurch am Terminal schneller bearbeitet werden kann. Daß solche Kurzformen für die Druckfassung schnell aufgelöst werden können, ist nicht weiter bemerkenswert. Bemerkenswerter ist, daß auch neue Datenkomplexe per Programm eingefügt werden konnten. So sollten z.B. nicht nur die Wahlkreiskürzel aufgelöst, sondern außerdem bei jedem Wahlkreis die Namen der Land- und Stadtkreise, aus denen er sich zusammensetzte, ergänzt werden. Da diese sich manchmal von Legislaturperiode zu Legislaturperiode änderten (infolge von Kreisteilungen, Ausweisungen und sonstigen Verwaltungsreformen), mußte für jede einzelne Legislaturperiode festgelegt werden, welche Wahlkreisnamen an welches Wahlkreiskürzel angehängt werden sollten. Gerade bei dieser komplizierten Ergänzung von Datenkomplexen hat sich TUSTEP sehr bewährt.
 

Maschinelle Sortierung der Abgeordneten

Für die Drucklegung mußten die Abgeordneten in eine endgültige Reihenfolge gebracht werden. Wir hatten uns zunächst mit einer Grobsortierung alphabetisch nach Nachnamen begnügt und diese Reihenfolge aus mancherlei Gründen erst einmal beibehalten. Für die Publikation aber konnte selbstverständlich eine rein zufällige Abfolge mehrerer gleichnamiger MdA (wir haben z.B. rund 20 "Meyer") nicht mehr befriedigen. Hier sollte das Eintrittsjahr als zweites, nötigenfalls das Geburtsjahr als drittes Ordnungskriterium gelten; die oft nicht genau bekannten Vor- bzw. Rufnamen kamen dafür nicht in Frage. Auch diese Sortierung nahm uns die EDV ab, wie selbstverständlich auch die Festlegung einer endgültigen laufenden Nummer. Außerdem wurden für die Druckfassung Rubriken umgestellt und zu Blöcken zusammengefaßt.
 

Satzherstellung

Die Erleichterung und Verbesserung des späteren Drucks war von Anfang an ein wesentliches Motiv, uns unsere Arbeit durch die EDV erleichtern zu lassen. Mit Hilfe des Satzprogramms in TUSTEP ist es möglich, nach einer automatischen Umwandlung der Rubrikennummern in Satzsteuerzeichen sozusagen von der Datei weg in die Satzherstellung überzugehen, ohne neue Fehler zu produzieren, die bei der Publikation solcher "Datenfriedhöfe" im konventionellen Satzverfahren fast unvermeidlich wären. Daß solche mit Hilfe der EDV gedruckte Bücher auch schön sein können, sei nur am Rande mit Dank angemerkt.
 

Bruno Illius (Institut für Völkerkunde)

Erschließung von oraler Literatur der Shipibo-Conibo:
Transkription, Interlinearübersetzung, Glossar

Summary

The Shipibo and Conibo, two panoan-speaking tribes of hunter-fisher-horticulturists in the Ucayali basin possess a rich oral literature comprising myths, popular dancing songs, and shamanic curing songs. Examples of each genre, recorded by the author between 1981 and 1985, have been evaluated and prepared for print with TUSTEP programs. Furthermore, a vocabulary has been compiled, partly by generating it from transcribed texts with the help of TUSTEP programs. TUSTEP greatly facilitated the presentation of texts in an interlinear translation allowing systematic context-bound comparison of morphemes or text units as well as syntagmatic and stylistic analysis of prose and verse.

Umfangreiche Texte und ein Vokabular der Shipibo-Conibo, einer indianischen Stammeskultur im peruanischen Amazonastiefland, wurden 1986 mit Hilfe von TUSTEP ausgewertet und für den Druck vorbereitet. Es handelt sich um Mythen, Schamanengesänge und Festlieder, die 1985 im Rahmen einer religionsethnologischen Studie aufgenommen wurden, sowie um ein Glossar, aufgenommen 1981-85. Lieder und Mythen der Shipibo-Conibo lagen bisher noch nicht als Interlinearübersetzungen vor.

Die Shipibo und Conibo sind zwei einander nah verwandte Stämme der zentralen Pano-Familie. Bezüglich Sprache, Religion, oraler Tradition, Wirtschaftsweise, materieller Kultur und Kunststil unterscheiden sie sich nur geringfügig. In der ethnologischen Literatur werden sie seit langem als kulturelle Einheit, manchmal auch als ein Stamm behandelt. Der Einfachheit halber spricht man von der Shipibo-Sprache.

Zur Zeit gibt es zwischen 15.000 und 20.000 Shipibo-Conibo. Sie leben in etwa 100 Dörfern am Ucayali und seinen Nebenflüssen. Die Wirtschaft der Shipibo-Conibo beruht auf dem Fischfang und dem Anbau von Maniok und Bananen; in geringerem Ausmaß werden auch Reis, Mais und Süßkartoffeln gepflanzt. Wie bei allen riverinen Indianern spielen die Jagd und das Sammeln eine geringere Rolle für die Ökonomie.
 

Die Lieder

Die Shipibo haben Tanzlieder, Unterhaltungslieder ("spaßhafte Gesänge") und schamanische Heilgesänge. 1986 wurden vor allem Schamanengesänge ausgewertet (ILLIUS 1987: 364-462). Die Heilsitzungen der Schamanen finden immer nachts statt und dauern zwischen drei und sieben Stunden. Während dieser Zeit singt der Schamane fast ohne Unterbrechung. Dem Gesang selbst wird eine Heilwirkung zugeschrieben. Die Shipibo kennen keine "natürlichen" Krankheitsursachen. Alle Krankheitsfälle, auch solche als Folge von Unfällen oder Schlangenbiß, werden auf das Wirken außermenschlicher Personen zurückgeführt.

Wie die Schamanen vieler anderer südamerikanischer Stämme benützen auch die Shipibo-Schamanen eine halluzinogene Droge, um Verbindung mit außermenschlichen Personen und Mächten ("Geistern") aufzunehmen. In seinen Gesängen imitiert der Schamane die Stimmen der Geister und beschreibt gleichzeitig deren Aussehen und Verhalten; ebenso berichtet er über seine eigenen Aktionen in der Welt der Geister und deren Reaktionen darauf. Dabei bedient er sich einer Sprache, die von der Umgangssprache leicht abweicht. Für die Teilnehmer an der S�ance, die nicht Ayahuasca genommen haben, stellen die Liedtexte eine Brücke zur Geisterwelt dar. Singen ist Kommunikation zwischen Menschen und Geistern.

1985 wurden mehrere Schamanensitzungen auf Band mitgeschnitten; eine davon exemplarisch übersetzt. Die S�ance umfaßt dreizehn Lieder von insgesamt 135 Minuten Dauer; sie wurden innerhalb von drei Stunden von zwei Schamanen gesungen. Die Lieder wurden in den fünf darauffolgenden Tagen in Anwesenheit der beiden Sänger vom Band transkribiert und danach mit Hilfe eines Spanisch sprechenden Shipibo übersetzt.

Bei der ersten Niederschrift der Texte wurde eine Umschrift benützt, die viele diakritische Zeichen und die Diphthonge und Umlaute des Deutschen enthielt. In dieser vorläufigen Form wurden die Texte auch eingelesen. Die Umstellung auf die letztlich verwendete (an den Lautwerten des Spanischen orientierte) Umschrift nahm mit Hilfe der TUSTEP-Austausch-Anweisungen für mehrere hundert Textseiten weniger als eine Arbeitsstunde in Anspruch.
 

Die Mythen

Besonders bei der Niederschrift von Mythen wurde deutlich, daß darauf zu achten war, Texte in einer den Indianern verständlichen Form zu konservieren. In diesem Bereich der oralen Tradition ist schon vieles in Vergessenheit geraten oder von christlichen Vorstellungen überlagert. Die Suche nach älteren Stammesmitgliedern, die den korrekten Wortlaut der Mythen rezitieren konnten, war recht umständlich. Während die improvisierten Schamanenlieder noch fast jede Nacht gesungen werden, also im authentischen kulturellen Kontext aufgenommen werden konnten, wurde für die Aufnahme der Mythen eine künstliche Erzählsituation hergestellt.

Die Mythen der Shipibo-Conibo thematisieren vor allem die Ursprünge der heutigen Zustände und Wesen auf der Erde. Die Trennung von Himmel und Erde, der Ursprung der Krankheiten und des Todes, der Erwerb des Feuers und der wichtigsten Kultigene sind zentrale Mytheninhalte. Außerdem werden durch die Verhaltensweisen der Protagonisten die Beziehungen zwischen den verschiedenen Bewohnern der Erde exemplarisch ausgeführt. Die Mythen geben aber keine Verhaltensregeln und stellen keinen Moralkodex dar. Viele sind - gemessen an den Normen und Werten der Shipibo-Conibo -ausgesprochen un-moralisch. Soziale Regeln und Tabus werden ebensooft verletzt wie respektiert: Mord, Kannibalismus und Inzest sind ständig wiederkehrende Motive. Besonders auffällig ist, daß niemals von einer Schöpfung die Rede ist, sondern lediglich eine Anzahl von Transformationen beschrieben wird. Am Anfang war der Mensch. Aus Menschen oder menschlichen Körperteilen entstanden die meisten Tier- und Pflanzenspezies, sogar Gebrauchsgegenstände. Im Verlauf der Mythen erwerben die Akteure ihre distinguierenden Wesensmerkmale; Mythen beschreiben den Prozeß der Differenzierung und Identitätsfindung.

Als sprachliche Dokumente haben die Mythen den Vorzug, lange zusammenhängende Texte in Umgangssprache zu sein. Die Sprache der Lieder setzt sich oft über die grammatischen Regeln der Umgangssprache hinweg; Auslassungen, rhetorische Mittel, Metaphern, Bilder und Vergleiche machen sie mitunter schwer verständlich. Für Untersuchungen der Syntax sind Mythen auch besser geeignet als aufgezeichnete Dialoge, da letztere nicht selten aus nur einem Wort pro Satz bestehen. Mythentexte sind also nicht nur für Religionsethnologen, sondern auch für Ethnolinguisten von Wert.

Als Beispiel für die Veröffentlichung wurde der Sintflutmythos ausgewählt, da bereits englische, spanische und eine französische Übersetzung (allerdings ohne Shipibo-Originaltext) publiziert wurden, die für einen Versionenvergleich herangezogen werden können.

Die Aufzeichnung von Mythen schriftloser Gesellschaften kommt in gewisser Hinsicht der Schaffung einer Literatur gleich. Eine umfangreiche Shipibo-Mythensammlung aus dem Jahr 1982 liegt leider nur in Englisch vor. Viele Shipibo können lesen und schreiben. In allen größeren Dörfern gibt es eine Schule. Erklärtes Ziel der staatlichen Erziehungsprogramme ist die Bilinguität der indianischen Staatsbürger. Die bevorzugte Einstellung nur Spanisch sprechender Lehrer zeigt aber, daß es sich dabei um ein Lippenbekenntnis handelt. Die Alphabetisierungskampagnen sind tatsächlich ein unverzichtbares Mittel zur Erhaltung der kulturellen Autonomie und Verteidigung politischer Rechte der Indianer; konsequenterweise müßten sie sich dann aber auch der jeweiligen Stammessprache bedienen. Indem Ethnologen Texte in indigenen Sprachen konservieren, können sie einen Beitrag zur Wahrung der kulturellen Identität der von ihnen untersuchten Gruppen leisten.
 

Das Glossar

Publizierte Wörterlisten des Shipibo stammen aus den Jahren 1800, 1898, 1902, 1903, 1904, 1906 und 1930. Sie sind stets in Spanisch und Shipibo abgefaßt; eine der Listen enthält zusätzlich die deutschen Bedeutungen aller Einträge. Leider weisen alle diese Vokabulare erhebliche Mängel auf: Sie sind unsystematisch angelegt, übernehmen die Fehler ihrer Vorgänger, enthalten viele Mehrfacheintragungen und überflüssige Komposita, bedienen sich inkonsequenter Umschriften und enthalten zahlreiche Fehlübersetzungen und Fehlbestimmungen von Pflanzen- und Tierarten.

Neben der Richtigstellung solcher Irrtümer war eine der wichtigsten Anforderungen an die neue Liste, daß sie alle Vokabeln und Morpheme der Liedertexte und des ausgewählten Mythentexts enthalten mußte. Es wurde also ein automatischer Wortschatzvergleich (genauer: ein Silben- oder Morphemvergleich) der drei Texte (der Lieder, des Mythos und einer schon vorhandenen Wörterliste) durchgeführt. Dabei war auch auf Unterschiede bei der Akzentsetzung und bei den Silbenanfängen zu achten; so sind beispielsweise die Silben a, a-, -a, und -a- jeweils selbständige Einträge.

Die resultierende Liste enthält 2000 Einträge und ist die umfangreichste der bestehenden Shipibo-Wörterlisten. Sie enthält alle in der einschlägigen Fachliteratur (nach der Bibliographie zu ILLIUS 1987) vorkommenden Shipibo-Vokabeln.
 

Die Sprache

Das Shipibo ist (nach WEISSHAR 1980) eine agglutinierende Sprache, die an Nominal-, Verbal- und Partikelstämme grammatische Suffixe nach einer festen Ordnung anfügt. Charakteristisch für agglutinierende Sprachen ist, daß gebundenen Morphemen (im Fall des Shipibo den Suffixen) jeweils eine grammatische Funktion entspricht. Verbalstämme können in Verbindung mit bestimmten Suffixen in Nomina transformiert werden; entsprechend können Nominalstämme in Verben umgewandelt werden. Daß Wortstämme vier oder fünf bedeutungstragende Suffixe haben, ist keine Seltenheit; intransitive Sätze bestehen oft nur aus einem Wort.

Das Shipibo ist eine flexionslose Sprache, es kennt weder Deklination noch Konjugation.

Kontextbedingte phonetische Veränderungen treten selten auf, so etwa daß n und m zu m werden und s und r zu sh werden. Diese relative Unveränderlichkeit der Silben kam der Arbeit im TUSTEP-Editor sehr entgegen. Außerdem funktioniert das Silbentrennungsprogramm - wenn man die Trennung des sh ausschließt - mit hundertprozentiger Genauigkeit.
 

Zur Arbeit mit TUSTEP

Ziel des Projekts sollte eine Präsentation der Texte in Interlinearübersetzung sein, die ein Höchstmaß an Überprüfbarkeit und Nachvollziehbarkeit gewährleistete. In drei aufeinanderfolgenden Zeilen sollte jeweils der Shipibo-Text (Morphemgrenzen durch Bindestriche und Blanks getrennt) in der ersten Zeile stehen, darunter eine Einzelwort-Übersetzung (Nominative und Infinitive, bzw. Abkürzungen für die grammatischen Morpheme) und in einer dritten Zeile eine freie deutsche Übersetzung. Die drei Zeilen sollten typografisch unterschieden sein.

Dabei sollten die ersten Buchstaben der Wörter der ersten und zweiten Zeile jeweils untereinander stehen. Das besondere typografische Problem dabei ist, daß von den paarweise untereinanderstehenden Wörtern unregelmäßig abwechselnd das obere bzw. das untere länger ist.

Das Erstellen einer fehlerfreien Probeseite auf der Schreibmaschine durch eine im Umgang mit fremdsprachlichen Texten erfahrene Schreibkraft nahm über 90 min./Seite in Anspruch. Dabei entfiel die meiste Arbeitszeit auf das Auszählen der Blanks. Das Verfahren hatte zudem den Nachteil, daß es sich nur für eine Veröffentlichung in Typoskriptform eignet, da bei der Verwendung von Proportionalschrift Wortlängen und Spatien nicht mehr durch die Anzahl der Buchstaben bestimmt werden.

Die durch den Einsatz von TUSTEP erzielten Vereinfachungen (es wurden schließlich nur drei Steuerzeichen benötigt) lösten nicht nur dieses Problem, sondern reduzierten Zeit und Kosten für die Herstellung des einlesbaren Manuskripts auf weniger als ein Zehntel. Die Arbeitsweise war die folgende:

Texterfassung:
Die Texte wurden zeilenweise (Lieder) bzw. satzweise (Mythen) erfaßt, wobei jeweils abwechselnd eine Zeile der Originalsprache (markiert durch ein Steuerzeichen) und eine Zeile der Interlinear-Übersetzung (gekennzeichnet durch ein anderes Steuerzeichen) aufeinanderfolgten. Der Text der freien Übersetzung wurde erst später eingefügt und durch ein drittes Steuerzeichen markiert.

Korrekturphase:
Zur sicheren und leichteren Korrektur wurden mit dem TUSTEP-Programm KOPIERE die Wörter der einzelnen Zeilen bzw. Sätze so durchnumeriert, daß die paarweise zusammengehörenden Wörter der Zeilenpaare gleiche Nummern hatten. Erfassungsfehler, die zu ungleichen Wortzahlen geführt hatten, wurden vom Programm angemahnt. Auf diese Weise war eine exakte wortbezogene Korrektur möglich.

Ausdruck:
Mit einer weiteren TUSTEP-Kommandofolge wurden die Wortnummern aus der Korrekturfassung entfernt und die für das Satzprogramm notwendigen Steuerzeichen automatisch eingefügt. Auf diese Weise wurde die für die Interlinearübersetzung notwendige wortgenaue Ausrichtung erreicht (bei den Liedern im Flattersatz, bei den Mythen im Blocksatz); die Druckaufbereitung erfolgte über das Satzprogramm, die Ausgabe über die Satz-Simulation auf dem Laserdrucker.

Glossar:
Hier wurde TUSTEP zusätzlich zur Druckaufbereitung vor allem zur Kontrolle der Vollständigkeit des Glossars benutzt. Dazu wurde ein gemeinsames "Register" von Mythen, Liedern und Glossar erstellt und nur die Belege ausgedruckt, die keine Referenz aus dem Glossar enthielten. - Die Druckaufbereitung erfolgte ebenfalls mit Hilfe von Satzprogramm und Satz-Simulation auf dem Laserdrucker.

Die so erreichte Art der Textaufbereitung stellte nicht nur eine beträchtliche Hilfe bei der Übersetzungsarbeit dar; sie ermöglicht vor allem einen kontextbezogenen Morphemvergleich. Außerdem wird ein Strukturvergleich von Prosa- und Liedertexten wesentlich erleichtert.
 

Literatur

Faust, Norma: Lecciones para el aprendizaje del idioma shipibo-conibo. Dallas, 1973.

Illius, Bruno: Ani shina: Schamanismus bei den Shipibo-Conibo. Tübingen: Verlag Science und Fiction, 1987.

Weisshar, Emmerich: Shipibo-Conibo. Unveröff. Ms., Tübingen, 1980.

 
(Die Kurzfassungen der Referate wurden von den Referenten zur Verf�gung gestellt.)


Zur
Übersicht über die bisherigen Kolloquien
tustep@zdv.uni-tuebingen.de - Stand: 3. Juli 2003