Protokoll des 4. Kolloquiums über die Anwendung der
Elektronischen Datenverarbeitung in den Geisteswissenschaften
an der Universität Tübingen vom 6. Juli 1974

 

Joy Fischer

Der Gebrauch des Gerundiums bei Froissart und Lord Berners

Diese Arbeit verfolgte zwei Ziele. Das erste Ziel bestand darin, den Gebrauch des Gerundiums sowohl bei Froissart als auch bei Berners detailliert und möglichst exakt zu beschreiben. Das zweite Ziel war in dem Versuch zu sehen, den Gebrauch des Gerundiums durch die beiden Autoren miteinander zu vergleichen. Bei diesem Vergleich sollte eine Aussage darüber gemacht werden, ob und, wenn ja, inwieweit sich Berners in seiner Verwendung des Gerundiums durch den Gebrauch des Gerundiums bei Froissart beeinflussen ließ.

Datenaufnahme:
Die Gerundien im altfranzösischen Hauptwerk von Froissart und der Übersetzung dieses Werkes ins Mittelenglische durch Berners wurden ermittelt und mit Hilfe eines Schemas vergleichbar gemacht.

Datenvorbereitung:
Dieses Schema war so angelegt, daß eine Übernahme auf Lochkarten ohne weiteres möglich war. Die so gesammelten Daten wurden gemäß der oben beschriebenen Zielsetzung miteinander verglichen. Diese Aufgabe wurde mit Hilfe eines in FORTRAN IV geschriebenen Programms gelöst.

Ergebnisse:
Insgesamt wurden zur Lösung des Problems ungefähr 250.000 Vergleiche angestellt. Manuell, bei etwa einem Zeitaufwand von zwei Minuten pro Vergleich, wäre dazu ein Arbeitsaufwand von beinahe fünf Arbeitsjahren notwendig gewesen (von der Vielzahl möglicher Fehlerquellen nicht zu reden). Dieses Ergebnis spricht für sich, d.h. für die Anwendung der EDV.

Aus der Diskussion

  • Berners übersetzte Froissart in der Zeit, als das Gerundium im Englischen aufkam; da aber Berners nur bei 9 % aller Fälle die Gerundiumkonstruktion von Froissart ins Englische übertrug, wird durch diese Untersuchung die übliche Meinung, das englische Gerundium stamme aus dem Französischen, nicht bestätigt.
  • Wenn die Funktion des Gerundiums in einem bestimmten Kontext zweifelhaft war (ca. 10 Fälle), wurde dies gekennzeichnet.

 

Rolf Kellner

Bevölkerungsumfrage in Reutlingen zur Resonanz Heinrich Bölls

Die auf Repräsentativität zielende Umfrage wurde im Sommersemester 1973 im Rahmen des Hauptseminars "Die Rezeption Heinrich Bölls" (Leiter: Prof. Dr. W. Barner) unter Mitwirkung aller Seminarteilnehmer durchgeführt. Das Unternehmen verstand sich als empirische Ergänzung zur immanenten, sich dem Leser auf interpretatorischem Wege nähernden literaturwissenschaftlichen Rezeptionsforschung. Um die Vergleichbarkeit der Ergebnisse weitgehend zu sichern, wurde die Form des standardisierten Interviews gewählt; die Faktenfragen zur Böll-"Kenntnis" und -Lektüre sowie zum sonstigen Kultur-Konsum der Probanden konnten unproblematisch als dichotomische Fragen bzw. multiple choice gestellt werden. Die Übertragung auf Lochkarten bereitete so keine Schwierigkeiten. In einem ersten Arbeitsgang wurden die Ergebnisse der 184 Fragebögen à 50 Fragen einfach ausgezählt, der zweite Arbeitsgang ermittelte die speziellen Daten für Böll-Leser, für Probanden, die Böll ausschließlich kannten und für solche, die von Böll noch nie gehört hatten.

Die Fortführung des Projekts im Wintersemester 1973/74 war vor allem auf die innerliterarische Kommunikation Autor - Leser gerichtet. Anhand eines "typischen" Böll-Textes sollte die Rezeption ausschließlich der Böll-Leser getestet werden, um so eventuell überindividuelle Züge auszumachen. Den komplexen Zusammenhängen war nur mit Meinungsfragen und einer Kombination von freien Antwortmöglichkeiten und multiple choice adäquat beizukommen, deren Übertragung auf Lochkarten ohne vorherige aufwendige Bearbeitung nicht möglich schien; es wurde deshalb auf eine Auswertung per EDV verzichtet.

Vor allem an die Mitarbeiter des ZDV war darum die Bitte gerichtet, in der nachfolgenden Diskussion zu klären, ob und inwieweit eine Auswertung von freien Antworten oder gar von nicht-standardisierten Interviews mit Hilfe der EDV vielleicht doch möglich sei.

 

Wilhelm Ott

Metrische Analyse lateinischer Hexameter

Ziel des Projektes:
Material für metrische Untersuchungen, auf denen unsere Kenntnis lateinischer Metrik beruht und die auch für die Interpretation nicht unwichtig sind, künftig automatisch und damit nachprüfbar zur Verfügung zu stellen und allgemein zugänglich zu machen. Die Arbeit muß so weit automatisiert werden, daß sie nebenamtlich geleistet werden kann.

Arbeitsschritte:

  1. Zugrundegelegten Text in maschinenlesbare Form bringen (Lochkarten, Lochstreifen), korrigieren durch maschinellen Vergleich mit der Transkription des gleichen Textes aus einer anderen Edition (Nebeneffekt: Unterschiede und Druckfehler der Editionen sind feststellbar).
  2. Korrigierter Text wird durch Programm, das die wichtigsten Regeln über Silbenquantitäten und Aufbau des lateinischen Hexameters enthält, skandiert.
    Trefferrate:
    • ca. 95 % eindeutige und richtige Skandierungen
    • ca. 3-4 % mehr als 1 Skandierungsvorschlag
    • ca. 1 % Scheitern einer automatischen Skandierung (Regelwidrigkeiten)
    • ca. 1-5 Promille falsche Skandierungen, von der Maschine nicht erkannt.
  3. Korrektur des Skandierungsvorschlags, unterstützt u.a. durch ein Programm, das die gefundenen metrischen Informationen zu den Wörtern des neu skandierten Textes mit entsprechenden Daten aus schon abgeschlossenen Analysen anderer Texte vergleicht.
  4. Feststellen der übrigen metrischen Charakteristika jedes einzelnen Verses durch Programme: Stellung der Wortgrenzen, Colon-Grenzen, der Elisionen, des Wort-Akzents im Vers.
  5. Aufbau (durch Programm) allgemein interessierender Zusammenstellungen metrischer Charakteristika (Ausgangspunkt: E. Nordens Metrisch-stilistischer Anhang zu seinem Kommentar zum 6. Buch der Aeneis).
  6. Bereitstellen des automatisch erarbeiteten Materials auf Magnetband (Wörter in der Reihenfolge des Textes, jedes Wort mit allen metrischen Angaben und Stellenangaben versehen) als mögliche Ausgangsbasis für weitere gezielte Abfragen über relativ einfache und schnelle Programme.
  7. Publikation des unter e. genannten Materials zu ausgewählten Werken unter Einsatz von automatischen Satzverfahren, bei denen die Ausgabe der Analyse-Programme durch ein Zusatz-Programm direkt in Steuer-Informationen für die Lichtsatzmaschine umgewandelt wird (Kosteneinsparung bei recht kompliziertem Satz; kein Korrekturen-Lesen notwendig).

 

Friedrich Seck

Der Katalog der Lehrbuchsammlung der UB Tübingen

Im Hinblick auf den bevorstehenden Auszug der naturwissenschaftlichen Fächer auf die Morgenstelle wurde das Bedürfnis nach einem gedruckten, überall verfügbaren Katalog der Lehrbuchsammlung ab 1972 als dringend empfunden. Das Verzeichnis sollte systematisch angelegt und durch ein Register der Verfasser und Herausgeber erschlossen sein. Die Titelaufnahmen konnten im Vergleich zum Zettelkatalog stark vereinfacht und gekürzt werden.

Nachdem zunächst konventioneller Offsetdruck nach maschinenschriftlicher Vorlage vorgesehen war, wurde schließlich doch der computergesteuerte Lichtsatz gewählt. Maßgebend für diese Entscheidung waren folgende Vorteile des Verfahrens:

  1. Die Register konnten automatisch hergestellt werden.
  2. Letzte Bestandsveränderungen konnten noch kurz vor dem Druck eingefügt werden, dadurch höchste Aktualität des Katalogs bei Erscheinen.
  3. Erfassungsarbeiten bei Neuauflagen können sich auf Eingabe der Bestandsveränderungen beschränken (wichtig wegen starker Fluktuation im Bestand der Lehrbuchsammlung).
  4. Besseres Aussehen im Vergleich zur Vervielfältigung nach maschinenschriftlicher Vorlage.

Das Programm wurde vom ZDV geschrieben, die Ablochung erfolgte durch eine Bibliothekarin auf Flexowriter 2201 der UB.

Erschienen sind bisher:

  • im Oktober 1973: Universitätsbibliothek Tübingen. Verzeichnis der Lehrbuchsammlung.
    Mathematik, Naturwissenschaften, Geographie, Medizin. Stand Juli 1975.
  • im Juni 1974: Universitätsbibliothek Tübingen. Verzeichnis der Lehrbuchsammlung.
    Rechts- und Staatswissenschaft, Politikwissenschaft, Erziehungswissenschaft, Psychologie, Soziologie. Stand Mai 1974.
Ein abschließender Teilkatalog für die geisteswissenschaftlichen Fächer ist für 1975 vorgesehen.

 

(Die Kurzfassungen der Referate wurden von den Referenten zur Verfügung gestellt.)


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tustep@zdv.uni-tuebingen.de - Stand: 31. Januar 2002