
Protokoll des 40. Kolloquiums über die Anwendung der
Elektronischen Datenverarbeitung in den Geisteswissenschaften
an der Universität Tübingen vom 27. Juni 1987
Allgemeine Information
TUSTEP auf der MicroVAX IIEine Vorversion von TUSTEP ist unter dem Betriebssystem
VMS auf der MicroVAX II entwickelt worden und steht dort
für Testzwecke zur Verfügung. Die allgemeine Freigabe ist
für die zweite Jahreshälfte 1987 vorgesehen. Unter VMS
weist vor allem der Editor einige zusätzliche Leistungen
auf, die besonders das Eintragen und Korrigieren erleichtern.
Wie Zeitschriftenaufsatz, Akademieabhandlung, Dissertation
und Monographie einerseits, Bibliographie und
Forschungsbericht andererseits hat sich auch die
wissenschaftliche Rezension mit der Entwicklung der
Philologie im 19. Jh. zu einer üblichen Publikationsform
der wissenschaftlichen Diskussion entwickelt. Dieses
reiche Material, das den zeitgenössischen
Forschungsdiskurs je ganz unmittelbar spiegelt, ist
bibliographisch bisher völlig unzureichend erschlossen.
Zwar werden seit einigen Jahrzehnten die wichtigsten
Rezensionen in den laufenden Bibliographien
berücksichtigt. Zuvor ist ihre Aufnahme jedoch nicht
gleichmäßig vollständig, von den Lücken der beiden
Kriegsphasen ganz zu schweigen; die älteren
zusammenfassenden Bibliographien des 19. Jh. verzichten
gänzlich auf Rezensionen. So haben z.B. Stichproben
ergeben, daß ein einigermaßen abgerundeter Überblick auch
nur über die wichtigsten Besprechungen zu einem Titel,
deren Aufnahme sich bis zu 5 Jahren hinziehen kann,
ungewöhnlich viel Zeit kostet.
Die Entscheidung für eine systematisch gegliederte
Rezensionenbibliographie wird somit mehreren Zielen zugleich gerecht:
Die lateinischen Autoren sind in vier Klassen eingeteilt,
die sich durch den Grad ihrer systematischen
Ausdifferenzierung unterscheiden, je nach Größe des
jeweiligen Autors und der damit zu erwartenden Zahl
bibliographischer Einträge. Grundlage bildet stets die
Untergliederung in "Textausgaben" einerseits,
"Forschungsliteratur" andererseits. Diese beiden Bereiche
sind je nach Autorenklasse wiederum weiter ausdifferenziert.
Das eigentliche Aufnahmeverfahren geht von der Selektion
der einzelnen Titel aufgrund der Rezensionen aus. Auf eine
mehrfache Erfassung des gesamten Titels kann verzichtet
werden; bei der Erstaufnahme (der sog. Hauptaufnahme) wird
der einzelne Titel in einen absolut eindeutigen Code
umgesetzt, der bei allen weiteren Aufnahmen dieses Titels
(den sog. Nebenaufnahmen) als Kennung verwendet werden
kann, so daß nur noch die neue Fundstelle (Zeitschrift)
und der jeweilige Rezensent anzugeben und abzuspeichern sind.
Der Code selbst besteht aus zwei Zeilen (*k, *m), von
denen die erste (*k) mit der Systemstelle des
Gesamtrasters identisch ist, sofern es sich nicht um
autorenspezifische Titel handelt. Alle antiken Autoren und
Werke, sofern letzteren eine eigene systematische Stelle
zugewiesen ist, erhalten dagegen einen drei- bzw.
zweistelligen alphanumerischen Mnemo-Code; auf die Angabe
der Systemstelle der betreffenden Gattung kann verzichtet
werden, da diese automatisch vom Programm ergänzt wird.
Die 2. Zeile (*m) enthält einen Matchcode, der in
kodierter Form den Einzeltitel repräsentiert (je 5
Buchstaben für den Namen des modernen Autors bzw.
Herausgebers und den Werktitel, 2 Stellen für die beiden
letzten Ziffern des Erscheinungsjahrs, ggf. 2 weitere
Stellen für die Bandangabe). Mit Hilfe dieses Systems
läßt sich jeder Titel in einer eindeutigen Kodierung
beschreiben und am Ende der betreffenden Systemstelle des
Gesamtrasters zuordnen. Zugleich hat dieses Prinzip den
Vorteil, daß es hinsichtlich der Ausdifferenzierung durch
seine Offenheit flexibel ist.
Die Aufnahme erfolgt in drei Schritten:
Ist ein Bearbeitungszeitraum, für den als Einheit eine
Dekade gewählt wurde, abgeschlossen, werden die
gespeicherten Daten in das Gesamtraster einsortiert;
innerhalb der einzelnen Systemstellen erfolgt die
Sortierung der Titel in alphabetischer Reihenfolge. Um
eine Liste der bearbeiteten Zeitschriften und
aufgenommenen lateinischen Autoren ergänzt, wird die
jeweilige Dekade für den Druck aufbereitet und den
Mitarbeitern auf Microfiche zugestellt. Auf der Erstellung
weiterer Register ist in diesem Arbeitsstadium - schon aus
rein zeitlichen Gründen - bewußt verzichtet bzw. bis zum
Ende der bibliographischen Datenerfassung zurückgestellt,
wenn alle Dekaden zu einer Gesamtbibliographie
zusammengefaßt werden sollen.
Der gewählte Analyseansatz ist linguistischen Ursprungs.
Das Konzept der linguistischen Substitution führt, unter
Einbezug der sich in Handschriften interpretierbar
manifestierenden Dimension der Zeit, zur Definition der
genetischen Substitution. Sie ist insgesamt durch linken
und rechten Kontext für den Schreibprozeß als
Schreib- oder Lese-Substitution erkennbar. (Textbezogen
spricht die germanistische Editionswissenschaft bisher
schon von Varianten als 'Sofort'-, 'Bald'- oder 'Spät'-Korrekturen.)
Bei der Analyse von Schreibprozessen bietet sich die
Datenverarbeitung zunächst grundsätzlich als Hilfsmittel
an, allein schon angesichts der Quantität von zu
untersuchenden Handschriftenmaterialien. Konsequenz und
Konsistenz der Bearbeitung bei umfangreichen Korpora -
z.B. längeren Prosatexten - werden durch die
Datenverarbeitung wesentlich erleichtert. Zudem ermöglicht
eine Darstellung mithilfe der Datenverarbeitung das
Überprüfen der Gültigkeit der Schritte und Entscheidungen
der Analyse. Darüber hinaus bietet allein die
Datenverarbeitung eine Möglichkeit zur übergreifend
zusammenfassenden Analyse: Aus dem zunächst zur
Darstellung lokaler Substitutionen erfaßten und
ausgezeichneten Textkorpus läßt sich z.B. ein
Substitutionswörterbuch generieren, das generelle
Tendenzen und Gesetzmäßigkeiten der Substitutionen,
und also des Schreibprozesses als ganzem, aufdeckt.
Bei der Demonstration der Programme anhand eines
vorbereiteten kürzeren Prosatexts wurde zunächst die
codierende Auszeichnung zur Markierung der aus der
Handschrift analysierten Substitutionsvorgänge erläutert.
Die analytische Interpretation des Handschriftenbefundes
vollzieht sich ganz im Vorfeld der eigentlichen
Programmabläufe. Der erste Schritt der Datenverarbeitung
macht sodann die Substitutionsabfolgen durch stufenweise
Einrückungen vom und Rückführungen zum linken
Rand sichtbar. Die je lokalen Substitutionen lassen sich durch
Zusatzzeichen zur Anzeige ihrer [allfälligen] Synchronie
ergänzen. Folgeprogramme erbringen eine zweifache
Leistung: Zum einen werden Substitutionen syntagmatisch
als in Kontexte eingebettete Lesartenabfolgen
zusammengestellt; zum anderen werden im
Substitutionswörterbuch aus dem jeweiligen Gesamttext den
alphabetisch zusammengestellten Substituenda
paradigmatisch die für sie aktualisierten Substitute
gegenübergestellt.
Die syntagmatischen wie die paradigmatischen
Zusammenfassungen bieten beim gegenwärtigen Stand der
Entwicklung dieser Programme zur Handschriftenerfassung
und -analyse in erster Linie eine Grundlage zur
Erschließung und Interpretation von Schreibprozessen. Es
liegt jedoch auf der Hand, daß - beginnend mit der aus der
codierten Erfassung resultierenden Stufendarstellung eines
Textes - eine Entwicklung der Programme zur Unterstützung
der wissenschaftlichen Handschriftenedition sich anbietet.
Die Programme sind in einer Großrechner- und einer
PC-Version (Apple Macintosh) einsatzfähig.
Peter L. Schmidt, Joachim Fugmann (FG Literaturwissenschaft, Universität Konstanz)
Eine Rezensionen-Bibliographie zur lateinischen
Literaturgeschichte der Antike
Die Bibliographie, den Zeitraum von 1855-1954 umfassend,
steht im Zusammenhang mit einer Neubearbeitung der
Geschichte der römischen Literatur (jetzt: Handbuch der
lateinischen Literatur der Antike) im Handbuch der
klassischen Altertumswissenschaft, die von einer
international zusammengesetzten Gruppe von
Wissenschaftlern vorbereitet wird. Die Anlage der
Neubearbeitung, die den Bereich der lateinischen Literatur
vom 3. Jh. v. bis zum 8. Jh. n. Chr. umfassen soll - den
Gesamtbereich nach der Abfolge der literarhistorischen
Epochen, den einzelnen Band strikt nach Gattungen und den
Einzelbeitrag wiederum relativ streng gegliedert - ließ
eine Systematisierung auch der wichtigeren älteren
Sekundärliteratur nach den neuen Gesichtspunkten als
sinnvoll erscheinen. Andererseits sollten die vorhandenen
bibliographischen Hilfsmittel, sofern nach diesen
Kriterien (etwa zu den einzelnen Autoren) vorhanden, nicht
einfach dupliziert werden. Wir waren deshalb der Meinung,
daß das Instrument der EDV genutzt werden sollte, um den
Mitarbeitern ein Gerüst grundlegender, über die
Rezensionen selektierter bibliographischer Angaben in
systematischer Anordnung zugänglich zu machen.
Für den einzelnen Mitarbeiter wird die (mit den
Rezensionen gegebene) systematische Zusammenstellung der
Titel den Hauptnutzen darstellen, deren er sich in
Kombination mit anderen Hilfsmitteln (etwa
Forschungsberichten) bedienen wird. Indes steht auch über
diesen unmittelbaren Nutzen hinaus ein umfangreiches
Material für die berührten Gesichtspunkte zur Verfügung.
Damit sind aber gleichfalls die unumgänglichen Ein- und
Ausgrenzungen angesprochen:
Der Bibliographie liegt ein Gesamtraster zugrunde, das
sich aus drei Blöcken zusammensetzt:
Jean-Louis Lebrave (Institut des Textes et Manuscrits Modernes, CRNS Paris)
Edition von Entwurfsmanuskripten. Darstellung und Analyse
der Textgenese
Das Forschungsinteresse des "Institut des Textes et
Manuscrits Modernes" beim C.N.R.S. in Paris an Textgenese,
wie sie sich in Schreibprozessen konkretisiert, hat zur
Entwicklung der hier vorgestellten Programme geführt und
deren bisherigen Einsatz bestimmt. Innerhalb des
französischen literarkritischen Ansatzes einer critique
g�n�tique wird eine oppositionelle Scheidung von texte
und avant-texte postuliert. Autorhandschriften stellen
dabei die Materialisierung von avant-texte dar. Ihre
Untersuchungsbasis sind, graphisch-materiell und
zweidimensional, Manuskriptaufzeichnungen in ihrer
Verwobenheit von Schreib- und Lese-
(= 'Korrektur'-)Vorgängen. Die Erfassung von Schreibprozessen
erfordert die analytische Entflechung solcher
Verwobenheit; es gilt, aus der scheinbaren
Einschichtigkeit und Simultaneität des Schreibergebnisses
die Raum/Zeit-Dimension (darüber/darunter, vor/nach) des
Schreibablaufs zu interpretieren und die
Interpretationserkenntnis zum Nachvollzug bzw. zur
Überprüfung und ggf. Revision darzustellen.
Diskussion
Die Diskussion drehte sich vor allem um Form und Funktion
eines Substitutionswörterbuches. Unter der Voraussetzung,
daß sich eine chronologische Abstufung der Korrekturen und
eine Zuordnung der Korrekturen zu den einzelnen Stufen
durchführen läßt, kann das Wörterbuch ein nützliches
Hilfsmittel zum Erkennen der Absichten eines Autors sein,
die ihn bei einzelnen Korrekturdurchgängen oder beim
sukzessiven Hinzufügen von Textteilen im Schreibprozeß
geleitet haben. Das Wörterbuch ist als Arbeitsmittel und
nicht für die Publikation gedacht.
(Die Kurzfassungen der Referate wurden von den Referenten zur Verf�gung gestellt.)
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Übersicht über die bisherigen Kolloquien
tustep@zdv.uni-tuebingen.de - Stand: 7. Juli 2003