Protokoll des 5. Kolloquiums über die Anwendung der
Elektronischen Datenverarbeitung in den Geisteswissenschaften
an der Universität Tübingen vom 16. November 1974
Allgemeine Informationen
Neue Projekte:- Edition des Dekanatbuches der medizinischen Fakultät Tübingen 1808 ff. Text mit Kommentar und Personen-, Orts- und Sachregister (Fichtner).
- Sozialschichtung in Städten in Spätmittelalter und Reformation. Stratifikatorische Analyse und prosopographische Aufnahme von Ober- und Führungsschichtangehörigen in acht Städten Deutschlands (SFB8, Z2).
Neue Programme:
Auf Anregung der "Würzburger Forscher-Gruppe am Seminar für deutsche Philologie, ältere Abteilung" wurden zwei Programme zur Graphemsuche entwickelt:
- KLIC (key letter in context) erstellt aus Wörtern eines Textes einen Index aller Grapheme, die in diesen Wörtern vorkommen und druckt sie nach ihrem Kontext innerhalb der Wörter geordnet aus, ähnlich wie KWIC (key word in context) es auf Wortbasis tut.
- Die zu suchenden Grapheme und Graphemkombinationen werden vorgegeben. Das Programm druckt zu jedem Graphem/Graphemkombination die Wörter aus, in denen es/sie vorkommt.
Beim heißen Verfahren ist Einzelbuchstabensatz oder Zeilensatz möglich.
Einzelbuchstabensatz
Für den Einzelbuchstabensatz wird mit einem Gerät, das von Schreibmaschinenkräften
bedient werden kann, eine Papierrolle (Lochband) erstellt mit
den den einzelnen Zeichen entsprechenden Lochkombinationen und Informationen
für den Ausschluß (= um gleichlange Zeilen zu erhalten). Dieses
Lochband steuert dann die Gießmaschine.
Korrekturen werden im allgemeinen durch den Handsetzer ausgeführt.
Leistung:
Kosten: 1.000 Zeichen: ca. DM 7,40
Weiterverarbeitung:
durch den Handsetzer bzw. Metteur (= derjenige, der
den Umbruch vornimmt).
Zeilensatz, manuell
Durch Anschlag eines Gerätes, dessen Tastatur nicht
die Anordnung einer Schreibmaschine hat (also nicht von Schreibmaschinenkräften
bedient werden kann), wird aus einem Magazin die Gußform des gewünschten
Zeichens geholt. Sind die Gußformen (Matrizen) aller Zeichen
für eine Zeile so gesammelt, wird durch Ausschlußkeile die richtige Zeilenlänge
hergestellt. Diese Matrizenzeile gelangt dann automatisch vor
die Gießmaschine und wird abgegossen.
Korrektur: Neusetzen der gesamten Zeile und Auswechseln der Fehlerzeile.
Leistung: ca. 7.000 Zeichen/Stunde
Kosten: 1.000 Zeichen: DM 5.85
Weiterverarbeitung: durch den Handsetzer oder Metteur.
Zeilensatz automatisch mit Tele-Type-Setter (Tele-Type = Fernschreiber)
Auf einem "Perforator", der von Schreibmaschinenkräften bedient werden
kann, wird ein Lochband hergestellt, das auch die Informationen für den
Ausschluß enthält. Dieses Lochband steuert dann die Gießmaschine, die wie
beim manuellen Zeilensatz arbeitet.
Korrektur:
Leistung:
Kosten: 1.000 Zeichen: DM. 4,10 bis 4,90
Dieses Verfahren wird z.B. von Zeitungen verwendet, die den Text gleich
über Fernschreiberleitungen an andere Orte weitergeben, wobei beim Empfänger
gleichzeitig automatisch ein neues Lochband erstellt wird und die
Zeilen automatisch abgegossen werden.
Der Text wird auf einem schreibmaschinen-ähnlichen
Gerät (Schreibsetzmaschine) geschrieben; um Blocksatz zu erhalten, muß
die Zeile erst geschrieben, dann der Ausschließewert abgelesen und eingestellt
werden, dann wird die Zeile noch einmal geschrieben. Das Ergebnis
ist der Originalsatz auf Baryt oder Polyesterfolie.
Korrektur: durch Radieren oder Überdecken (Tippex) oder durch Zeilenmontage.
Leistung:
Kosten:
Weiterverarbeitung: je nach Druckverfahren erst noch
fotographische Aufnahme des Satzes oder direkte Kopie.
Ist besonders wirtschaftlich bei Tabellen oder großen Textmengen, die linksbündig
(d.h. nicht Blocksatz, sondern rechts flatternd) gesetzt werden
sollen.
Schreibsatz mit Magnetband
Der Text wird wie beim manuellen Schreibsatz
auf einer Schreibsetzmaschine geschrieben, jedoch als Endlostext; gleichzeitig
wird dieser Text auf Magnetband gespeichert. Dieses Magnetband
steuert dann die Ausgabe über eine Schreibsetzmaschine, wobei aus dem
Endlostext automatisch wahlweise Blocksatz, links- oder rechtsbündiger
Satz hergestellt wird. Das Ergebnis ist der Originalsatz auf Baryt- oder
Polyesterfolie.
Korrekturen: automatisch durch Schreiben der Korrekturen auf ein zweites Magnetband,
dessen Inhalt dann mit dem des ersten Magnetbandes "gemischt" wird.
Leistung:
Kosten: Ein- und Ausgabe 1.000 Zeichen: ca. DM 3,70
Weiterverarbeitung: wie Schreibsatz, manuell.
Foto- oder Lichtsatz
Der Text wird auf einem Tastgerät, das von Schreibmaschinenkräften
bedient werden kann, geschrieben; dabei wird ein Lochband
erstellt, das dann die Lichtsatzmaschine steuert: Deren Magazin enthält
die Filmnegative der Zeichen, die dann auf einen Film projiziert
werden. Der Zeilenausschluß wird dabei automatisch hergestellt. Das Produkt
steht als Positiv auf Film oder Fotopapier.
Korrekturen: während des Schreibens (Tippfehler) durch Löschkommandos, im
Film zeilenweise durch Ausschneiden der Fehlerzeile und
Montieren der Korrekturzeile, auf Fotopapier durch Überkleben
mit der Korrekturzeile.
Leistung:
Eine Weiterentwicklung hierzu stellt diejenige Lichtsetzmaschine dar, die
die Zeichen nicht mehr als Filmnegativ enthält, sondern in Form von digitalen
Impulsen. Näheres dazu vgl. das folgende Referat.
Vorteil des kalten Verfahrens, besonders bei Licht- oder Fotosatz:
Dennoch geschieht noch 85% aller Satzherstellung mittels Bleisatz, besonders
da das Korrekturverfahren einfacher ist.
Computer-Anwendung
Der Sinn des Computereinsatzes ist die Steigerung der Setzleistung am Perforator.
Der Text wird in endloser Folge (ausgenommen Ausgangszeilen), ohne
Rücksicht auf Zeilenende und Worttrennungen getastet. Gegenüber dem Tasten
mit Zeilenausschluß kann eine Steigerung von 20-50% (je nach Zeilenformat)
erreicht werden. Bei schmalem Format höchste Leistungssteigerung. Das Produkt
ist ein Endlosband, das in den Computer mit einer Geschwindigkeit von
ca. 500 Zeichen/Sekunde eingelesen wird. Der Computer - programmiert mit einem
Silbentrennungsprogramm, der Schriftweite der gewünschten Schrift und der
Formatbreite - fertigt mit der Geschwindigkeit von 150 Zeichen/Sekunde ein
neues Band, dessen Text dem eines Perforatorbandes mit Zeilenausschluß
bzw. der späteren Druckzeilen entspricht. Worttrennungen am Zeilenende werden
dabei automatisch berücksichtigt. Auch tabellarische Arbeiten können
auf diese Weise hergestellt werden. Die neuesten Computerprogramme berücksichtigen
auch den Umbruch, so daß es bei einfacheren Arbeiten möglich ist,
ein schon vom Band her fertig umbrochenes Werk in die Blei-, Foto- oder
Schreibsetzmaschinen zu geben.
Korrekturen werden durch Lesen der Klarschrift des Endlosperforators und
anschließender Eingabe des Korrekturtextes in den Computer automatisch
erledigt.
Die Voraussetzungen hierfür waren:
Letztere Voraussetzung war im
ZDV erfüllt; da keine Setzmaschine vorhanden war, konnte die hierfür geeignetste
(damals DIGISET 50T1) zur Benutzung im Lohnauftrag ausgewählt
werden. Testmöglichkeiten mußten freilich notdürftig durch Simulation der
Setzmaschine auf der CD 3300 und dem angeschlossenen Plotter (Zeichengerät)
geschaffen werden, da Zeit und Kosten für Tests außer Haus nicht aufzubringen
gewesen wären.
Die Programme leisten also nicht nur Zeilenumbruch einschließlich Silbentrennung,
sondern vollautomatischen Seitenumbruch nach typographischen
Regeln für die Art von Satzaufgaben, die hier zu bewältigen sind. Dies waren
bisher vor allem wissenschaftliche Monographien aus dem Bereich der
Geisteswissenschaften, die an das Programm folgende Anforderungen stellen:
Außer dem Satz des laufenden Haupttextes
In Zukunft werden die Programme über die Fußnoten-Einsteuerung
hinaus für kritische Textausgaben die Synchronisation von bis
zu zehn verschiedenen (teils auch fortlaufend gesetzten) Apparaten mit dem
Haupttext bei automatischem Umbruch bewältigen müssen.
Der automatische Seitenumbruch hat - außer der damit verbundenen Kosteneinsparung
- vor allem den Vorteil, daß auch Register (Orts-, Namens-,
Sach-, Stellen-Register usw.) zu dem zu setzenden Text automatisch erstellt
werden können, wenn die für diese Register vorgesehenen Angaben im Text
durch Steuer-Codes gekennzeichnet sind bzw. in einer eigenen Klammerung
angegeben sind (falls die Register-Einträge im Text nicht unverändert gesetzt
werden können).
Außerdem bietet der automatische Seitenumbruch prinzipiell die Möglichkeit,
von Auflage zu Auflage eine andere Schrift oder anderen Satzspiegel zu
wählen, ohne Kostenexplosion befürchten zu müssen; oder: Schrift und Satzspiegel
so lange zu modifizieren, bis ein gewünschter Umfang erreicht
wird; wichtiger ist, daß umbruch-verändernde Korrekturen für Neuauflagen
kostengünstiger möglich werden.
Den größten Vorteil bringt der Einsatz dieser Programme für die Publikation
von maschinell erstellten "Manuskripten" (z.B. Wortindizes, Konkordanzen,
kritische Editionen), da - fehlerfreies maschinenlesbares Manuskript
vorausgesetzt - das Korrekturenlesen auf eventuelle Silbentrennungsfehler
(zu erwarten: ca. 0,5% fehlerhafte Trennungen bei deutschen Texten) beschränkt
bleibt. Für rationellen Satz der nicht maschinell erstellten Teile
solcher Publikationen (Vorwort, oder auch das ganze Buch) mußten außerdem
bequeme Möglichkeiten der Texteingabe und Korrektur geschaffen werden;
darüber hinaus mußten die Programme möglichst viele Eingabefehler als solche
erkennen und auf Korrektur-Notwendigkeit hinweisen (notwendig, da im
Haus nicht der endgültige Satz erstellt werden kann - selbst wenn, wäre
das teuer -, sondern nur Schnelldruckerprotokolle).
Die Eingabe von Texten und Korrekturen geschieht über Lochkarten, Lochstreifen
oder (im Lohnauftrag auswärts gelesene) OCR-Belege (= auf einer elektrischen
Schreibmaschine mit bestimmten Typen geschriebene DIN A4-Blätter);
es sind bequeme Korrektur-Anweisungen für Sofort-Korrektur (Löschen von
soeben geschriebenen Wörtern oder Zeilen) und für nachträgliche Korrektur
(Löschen, Ersetzen, Einfügen von Buchstaben, Wörtern, Zeilen) vorgesehen.
Für die Codierung der Sonderzeichen und Akzente wurde - trotz allgemein anerkannter
Vorbilder wie die Codierungsvorschläge der ZMD - ein eigenes flexibles
System gewählt, das u.a. - schon in der Codierung erkennbar - die
Möglichkeit des DIGISET ausnützt, mit jedem beliebigen Buchstaben jeden beliebigen
Akzent (auch: übergestellte kleine Buchstaben) zu kombinieren. Da
die Schriftzeichen im DIGISET nicht mechanisch oder optisch, sondern digital
(als Zahleninformation) gespeichert sind und während des Setzvorganges durch
Befehle, die zwischen den Textdaten stehen, ausgetauscht werden können, ist
der Zeichenvorrat prinzipiell unbegrenzt. Eigene Zeichen oder Schriften können,
graphische Erfahrung vorausgesetzt, selbst entworfen und eingesteuert
werden (für die Mischna-Edition wurde z.B. durch Herrn Krupp die hebräische
Schrift selbst aufgerastert, da sie bisher für die DIGISET nicht verfügbar
war, vgl. das
Protokoll des 2. Kolloquiums vom 23.2.1974).
Leistung der Programme: ca. 15-20 fertig umbrochene DIN A5-Seiten pro Minute
Rechenzeit (= CPU-Zeit + halbe Kanalzeit) auf der CD 3300; Satzgeschwindigkeit
auf DIGISET: ca. 500 Zeichen/Sekunde (ca. 12 DIN A5-Seiten/Minute).
(Die Kurzfassungen der Referate wurden von den Referenten zur
Verfügung gestellt.)
Karl Blätzinger (Fachhochschule für Druck, Stuttgart)
Satzrechner in der praktischen Anwendung.
Bei der Herstellung eines Schriftsatzes wird unterschieden zwischen heißem
und kaltem Verfahren. Das Ergebnis beim heißen Verfahren (Bleisatz)
besteht aus in Blei gegossenen Zeichen, während das kalte Verfahren entweder
Originalsatz auf Baryt oder Polyesterfolie oder gleich ein Positiv
auf Film oder Papier produziert.
Überblick über automatische SatzherstellungsverfahrenHeißes Verfahren
Kaltes Verfahren
Schreibsatz manuell
(bei Einzelbuchstabensatz, Zeilensatz mit Tele-Type-Setter,
Schreibsatz oder Lichtsatz)
Wilhelm Ott
Die Tübinger Satzprogramme
Bei der Entwicklung der Tübinger Satzprogramme (seit 1969) war von vorneherein
die Notwendigkeit vorhanden, den Computer nicht nur zum Zeilenausgleich
zu verwenden (dies hätte die Arbeit wohl nicht mehr gerechtfertigt),
sondern fertig umbrochene Seiten herzustellen.
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Übersicht über die bisherigen Kolloquien
tustep@zdv.uni-tuebingen.de - Stand: 19. Februar 2002