Aus dem Protokoll des 53. Kolloquiums über die Anwendung der
Elektronischen Datenverarbeitung in den Geisteswissenschaften
an der Universität Tübingen vom 23. November 1991

 

Heinrich Schepers (Münster)

G.W. Leibniz, Philosophische Schriften.
16 Jahre EDV-Erfahrung bei der Editionsarbeit

1. Organisation des Arbeitsablaufes

Zur Beschleunigung der Edition werden die Philosophischen Schriften von G.W. Leibniz in der Leibniz-Forschungsstelle der Universität Münster seit 1975 TUSTEP-gestützt bearbeitet. Die bei der Fertigstellung des Bandes VI,3 bis 1980 gewonnenen Erfahrungen motivierten uns, die mit dieser Arbeitsweise gegebenen Möglichkeiten auszunutzen, um die anstehenden Arbeiten für den nächsten Band der Akademie-Ausgabe von Grund auf zu reorganisieren. Es konnte nach den nötigen Absprachen eine "Vorausedition" eingerichtet werden, die in jährlich erscheinenden Faszikeln die geleistete Arbeit dokumentiert und die bearbeiteten Stücke in einer Vorfassung ausgewählten Leibniz-Forschern zur Verfügung stellt. Die Hauptmotive zur Einrichtung dieser Vorausedition lagen darin, daß rund 500 in zumeist undatierten Handschriften überlieferte Schriften von Leibniz aus der Zeit zwischen 1677 und 1690 aus einem immensen Nachlaß herauszusuchen und nach den Prinzipien der Akademie-Ausgabe sowohl thematisch als auch chronologisch geordnet zur Edition anstehen, und daß diese inzwischen mehr als 2500 Seiten Text umfassenden Stücke von mehreren Mitarbeitern nur in echtem Teamwork zu bearbeiten sind. Besonders günstig wirkte sich dabei der Zwang zu streng periodisierten Arbeitsabläufen aus. Die anfallenden Arbeiten konnten so aufgeteilt werden, daß die Edition seitdem sukzessive in "Durchgängen" mit jeweils drei sechsmonatigen Phasen voranschreitet. In der ersten Phase eines Durchgangs werden die von einem wiss. Mitarbeiter zu bearbeitenden Stücke - sofern noch keine Vorlagen vorhanden sind - transkribiert, dann mit der Handschrift kollationiert; dabei werden die Lesarten (Varianten, Streichungen und Ergänzungen) in genetischer Stufung dargestellt, ferner wird der Text kommentiert und mit Eintragungen für die Verzeichnisse der Sachen, Personen und Schriften versehen und nicht zuletzt werden die einzelnen Schriften mit den Angaben zu ihrer Überlieferung (Quellen, Drucke und Übersetzungen) und mit einer ersten Datierungsbegründung angereichert. Das Typoskript wird klassisch zum Satz ausgezeichnet bzw. mit Steuerzeichen für den Umbruch versehen.

Die so entstandene Vorlage wird von zwei technischen Mitarbeitern (früher OCR-mäßig, jetzt am Bildschirm) erfaßt, automatisch verglichen, korrigiert, gesetzt und ausgedruckt. Der so gewonnene "Arbeitssatz" (bzw. dessen Simulation) bildet die Grundlage für den nächsten Arbeitsgang und gleicht im wesentlichen bereits dem Endprodukt, enthält aber noch zwei Besonderheiten, einen "Datierungskasten" mit Notizen und sog. "Kellervarianten" (das sind Lesarten, die in gesonderten Apparaten lediglich zur kritischen Würdigung durch die Bearbeiter festgehalten werden), die beide nicht für die endgültige Edition bestimmt sind.

Im zweiten Halbjahr des Durchgangs kollationiert ein Zweitbearbeiter diese Stücke nochmals mit der Handschrift, kontrolliert die Lesartengestaltung, einschließlich der Kellervarianten, sowie die eingebrachten Eintragungen für die Verzeichnisse mit Hilfe eines noch zu beschreibenden "Leseausdrucks".

In der dritten Phase bereinigt der Erstbearbeiter an Hand eines "Probesatzes", der die Ergebnisse der Zweitbearbeitung enthält, strittige Stellen in Text und Lesarten, ergänzt und korrigiert die Kommentierungen und die Verzeichniseinträge.

Dann werden die Ergebnisse zweier Durchgänge - in veränderter Stückfolge - zu einem Faszikel (etwa 250 bis 300 Seiten) zusammengefaßt und mit jährlich anwachsenden, kumulierten Verzeichnissen der behandelten Themen, der erwähnten Personen und der Handschriften-Fundorte "ad usum collegialem" außerhalb des Buchhandels in beschränkter Auflage veröffentlicht. Da mit jedem Frühjahr und Herbst ein neuer Durchgang beginnt, konnten so seit Herbst 1981, als diese Arbeitsweise eingeführt wurde, 10 Faszikel mit insgesamt 2750 Seiten Text und jeweils 40 bis 50 Seiten Register erscheinen.

Zur jetzt anstehenden Endredaktion des Bandes bekommt jeder Mitarbeiter - gleichsam als erster Leser - solche Stücke zur Durchsicht, die er weder als Erst- noch als Zweitbearbeiter zu Gesicht bekommen hat.

2. Klassische Verzeichnisse aus einem numerischen Datenpool

Da zur Erschließung von Inhalt und Terminologie der Philosophischen Schriften unbedingt gute Sachregister, die den von Hand erstellten um nichts nachstehen, zu fordern sind, wurde der Herstellung des Sachverzeichnisses für den ersten mit TUSTEP erstellten Band (VI,3) besondere Sorgfalt gewidmet. Aus einem KWIC-Index zum Text des Bandes wurden von den einzelnen Mitarbeitern mit Hilfe eines weitgehend numerischen Apparates von Korrekturanweisungen die sachlich relevanten Begriffe, in der Regel mehrwortige Lemmata, ausgewählt. Nach gemeinschaftlicher Redaktion durch alle Mitarbeiter wurden diese Lemmata in den Text, auf den sie verweisen sollten, "zurückgeimpft", um mit Hilfe eines daraus gewonnenen seitenparzellierten Verzeichnisses einer weiteren Richtigkeitskontrolle unterworfen werden zu können.

Damit diese verhältnismäßig aufwendige Arbeit auch späteren Bänden zugutekommt, wurden die Einträge der Verzeichnisse des Bandes VI,3 singularisiert, automatisch durchnumeriert und - ohne Stellenangaben - in einen Register-Pool eingebracht. Dieser numerische Pool wurde und wird nach und nach angereichert, zunächst durch die Verzeichnisse früherer Bände (teils noch mit OCR, teils schon am Schirm erfaßt, neuerdings aber mit OPTOPUS eingelesen), laufend vor allem durch die bei der Bearbeitung der Schriften festgestellten Sachen, Personen und Buchtitel, die die Bearbeiter mit von ihnen zu vergebenden Ziffern in halbjährlichen Abständen einbringen.

Zur Zeit umfaßt der Pool rund 38.000 Einträge (etwa 23.000 Sachen, 10.000 Personen und 5.000 Schriften). Korrekturen an den Registereinträgen und insbesondere die Redaktion der Sacheinträge im Hinblick auf die Ordnung der Sachbezüge und auf die Vermeidung von Redundanzen lassen sich, wie die Erfahrung zeigte, effizienter als in den daraus gewonnenen Verzeichnissen am Pool selbst durchführen. Dabei eignet sich für die Redaktion der Sacheinträge ein KWIC-Index eben dieser Einträge, dessen Zieldatei mit automatisierten Austauschanweisungen (für Änderungen der Bei- oder Unterordnung, für Streichungen, Kürzungen, Ergänzungen sowie insbesondere für Permutationen innerhalb des Lemmas u.ä.) korrigiert wird.

In einem alphabetischen Ausdruck dieses numerischen Pools findet der Bearbeiter an seinem Arbeitsplatz den zur Registrierung benötigten normierten Eintrag, den er als Poolziffer mit einem "Dach" an die zu verzeichnende Stelle anbindet. Ein dreispaltiger "Leseausdruck", dessen Zeilen in der ersten Spalte dort abbrechen, wo eine Poolziffer eingetragen wurde, die als solche in der zweiten Spalte erscheint, gibt in der dritten Spalte die aus dem Pool geholte Auflösung. In ihm ist leicht zu kontrollieren, ob durch Fehler beim Schreiben der Ziffer falsche Einträge bezogen wurden, ob die Einträge selbst redigiert werden müssen und ob Lücken, Redundanzen oder Fehler bei der Registrierung zu bemängeln sind.

Bei der anstehenden Endredaktion des Bandes VI,4 bieten seitenparzelliert ausgegebene und dabei zeilenweise geordnete Registerauszüge der nach Überarbeitung der aktuellen Verzeichnisse und der beschriebenen Korrektur des Pools auf neuesten Stand gebrachten Einträge eine weitere Möglichkeit, die Erschließung zu verbessern. Bei der Publikation der Verzeichnisse werden die Zeilenangaben in Angleichung an die früheren Bände der Akademie-Ausgabe unterdrückt.

Die beschriebenen Verzeichnisse sind jedoch nicht allein für den späteren Leser bestimmt, sie unterstützen vielmehr von Anbeginn die Editionsarbeit, da sie nach jedem Umbruch mit den aktuellen Seiten- und Zeilenzahlen vorliegen. Neben den selbst erarbeiteten klassischen Registern stehen den Editoren natürlich auch die vielfältigen automatisch erstellbaren Indizes der Wortformen mit Angaben der Stellen und Häufigkeiten, im Kontext einer Zeile (KWIC) und - durchaus brauchbar - in rückläufiger Anordnung zur Verfügung. Eine Microfiche-Ausgabe eines KWIC-Index der ausgewählten, bedeutungstragenden Wortformen wurde für den letzten Band der Edition zusätzlich hergestellt und wird auf Anforderung vom Akademie-Verlag geliefert.

Erwähnt sei noch, daß für die Datierungsarbeit ein KWIC-Index erstellt wurde, dessen Referenzen mit Angaben über die vorläufige Datierung und Nummer des Stücks, in dem sich das Leitwort findet, angereichert wurden, ein KWIC-Index, bei dessen Sortierung nach Datum ein nützlicher Auszug des Erstvorkommens der einzelnen Wortformen resultierte.


aus: Protokoll des 53. Kolloquiums über die Anwendung der EDV in den Geisteswissenschaften am 23. November 1991