Aus dem Protokoll des 76. Kolloquiums über die Anwendung der
Elektronischen Datenverarbeitung in den Geisteswissenschaften
an der Universität Tübingen vom 3. Juli 1999

 

Heinrich Schepers (Münster)

Aufbereitung des Philosophischen Biefwechsels von G.W. Leibniz für die Edition

Die Edition der Briefe erfolgt im Wesentlichen nach den gleichen, oben beschriebenen Prinzipien wie die der Schriften. Sie wird in zwei Sparten vorbereitet, zum einen mit der Katalogisierung, zum anderen mit der Transkription der einzelnen Originalmanuskripte.

A.
In einem allgemeinen Quellenkatalog sind seit 1901 die Briefe zusammen mit anderen Dokumenten auf etwa 60.000 Zetteln verzeichnet worden. Aus diesem allgemeinen Katalog wurden für jedes Dokument die Merkmale der zur Edition anstehenden Philosophischen Briefe in die nach Bedarf indexierten Felder einer strukturierten, tabellarischen Datenbank (dBase) codiert übertragen:

  • Absender und Empfänger, Brief oder Beilage
  • Absendeort, ob angegeben oder erschlossen
  • Datum, ob angegeben oder konjiziert, Katalognummer
  • Handschrift mit Fundort, Form, Fassung, Sigle in der Edition
  • Hand (eigenhändig, Schreiber oder fremde Hand), ob Druckvorlage für den Text
  • Papierformat des Dokuments, Umfang des darauf Geschriebenen
  • antwortet auf, wird beantwortet durch oder andere Relationen
  • Erstdrucke aus dem Original, weitere Drucke, Quelle des Druckes
  • Übersetzungen, Quelle der Übersetzung
  • Wasserzeichengruppe, Wasserzeichennummer.
Prinzip war dabei, alle Angaben knapp, aber eindeutig codiert in eine, wenn nötig sortierbare Form zu bringen, so daß für jeden Brief eine Leitzeile mit bestimmten Informationen und so viele Folgezeilen gebildet wurden, wie verschiedene Quellen, Drucke oder Übersetzungen zu dokumentieren sind. Zur weiteren Bearbeitung wurden zusätzliche Felder mit weiteren Ordnungsmerkmalen eingerichtet, wie die festgelegte Brief-Kennzeichennummer und die noch nicht endgültige Brief-Folgenummer, und solche mit arbeitstechnischen Merkmalen. Schließlich wurde daraus eine Quelldatei für die Anwendung von TUSTEP.

Diese Anwendung bestand darin, mit einem TUSTEP-Programm aus dieser Quelldatei die "Köpfe" für gut 2000 philosophische Briefe automatisch zu erzeugen. Unter "Kopf" eines Briefes ist zu verstehen: die Titelzeile mit Angabe der Briefpartner, Absendeort und Datum in gebräuchlicher Form, die Textzeugen mit ihren Fundorten, ihren Beschreibungen und ihren Siglen, der bibliographische Nachweis der bisher erschienenen Drucke und Übersetzungen. Das Ganze erhält zudem annähernd die Gestalt des späteren Druckes. Hilfsdateien besorgen die Auflösung der Codes für die Namensformen, für die Fundorte und Signaturen der Manuskripte sowie für die der Drucke und der Übersetzungen. Außerdem erzeugt dieses Programm zugleich die Kolumnentitel der einzelnen Briefe sowie die Einträge für das Fundortverzeichnis und diejenigen für die Briefverwaltung.

B.
Die zum großen Teil bereits vorliegenden typographischen Transkriptionen der Brieftexte wurden zweifach (von verschiedenen Schreibern) erfaßt, dann in zwei sich entsprechenden Dateien kumuliert und nach VERGLEICHE korrigiert in einer Datei gesammelt. Diese wurde so eingerichtet, daß eine sechsstellige Seitenzahl gebildet wurde, die sich zusammensetzt aus der zweistelligen Nummer des Briefwechsels, der zweistelligen Nummer des Briefes und der bis zu 99 Seiten möglichen Länge eines Briefes. Von Fall zu Fall mußte zusätzlich die dritte Stelle zur Kennzeichnung des Briefwechsels herangezogen werden. Die Briefseite 0 bleibt dem "Kopf" vorbehalten.

C.
Die "Köpfe" und die nach Vergleich korrigierten Brieftexte (bislang etwa 1250 Stück) wurden zu einer Basisdatei vereint, zunächst mit EINFÜGE, neuerdings mit MISCHE.

D.
Zur Bearbeitung "holt" der Mitarbeiter mit einer TUSTEP-Prozedur aus der umfassenden Datei aller philosophischen Briefe eine Kopie des von ihm zu bearbeitenden Briefwechsels als Ganzes oder die einzelner Briefe, bearbeitet sie, druckt sie nach Bedarf zur Kontrolle aus und kopiert sie nach Abschluß der Tagesarbeit in die allgemeine Basisdatei zurück, in der von da ab die von ihm korrigierte Fassung des bearbeiteten Abschnittes seines Briefwechsel steht.

Die Bearbeitung beinhaltet: die Kritik der "Köpfe", die Herstellung von Text und Fußnoten und der genetischen Varianten aus den Textzeugen, die Kommentierung, die Vorbereitung der verschiedenen Verzeichnisse durch das Einbringen von Registerziffern aus dem numerischen Register-Pool, der gegebenenfalls erweitert werden muß, sowie das Einbauen von Querverweisen. Für letzteres wurde unter Anwendung von NUMERIERE eine Methode entwickelt, umbruchunabhängig umbruchbezogen zu verweisen, sowohl auf Seite und Zeile wie auf einen ganzen Brief oder einen Teil davon. Zur Erleichterung dieser Arbeiten wurden Buchstaben der Tastatur mit bestimmten Makros belegt, die normierte Formulare für die verschiedenen Fälle des Hin- und Rückverweisens bereitstellen. Zur Kontrolle der Registerarbeit werden zugleich mit dem Hole-Befehl temporäre "Register-Apparate" aus den eingebrachten Registerziffern erzeugt bzw. die als richtig bestätigten getilgt.

Sonderverfahren müssen für den bereits 1927 ohne den kritischen Apparat und nur mit einem Personenverzeichnis erschienenen ersten Band der Philosophischen Briefe angewendet werden. Da der Text nicht neu gesetzt wird, müssen die Apparate der Lesarten und Kommentare direkt mit den entsprechenden Zeilenweisern der damaligen Edition erzeugt und briefweise zusammengestellt werden. Ebenso müssen die Einträge für die verschiedenen Verzeichnisse briefweise mit festen Referenzen auf Seite und Zeile so aufbereitet werden, daß ein Programm zur Erstellung der Verzeichnisse diese Referenzen gemischt mit denen der neuen Briefe des zweiten Bandes in einem gemeinsamen Verzeichnis registriert. Ein Probelauf ist bereits erfolgreich durchgeführt worden. Auch dafür konnten arbeitserleichternde, normsichernde Belegungen der Funktionstasten mit entsprechenden Formularen eingerichtet werden.

Die Bearbeitung des Philosophischen Briefwechsels kann insofern "datenbank-gesteuert" genannt werden, als die "Köpfe" ausschließlich in der dBase-Datei redigiert und korrigiert werden. Von Zeit zu Zeit wird ein neuer Satz redigierter "Köpfe" mit den zuvor "kopflos" gemachten sowie mit gegebenenfalls neu hinzugekommenen Brieftexten automatisch mit MISCHE gekoppelt.

In der umfassenden Basisdatei stehen die Briefe, wie aus der beschriebenen sechsstelligen Seitenzahl zu ersehen ist, briefwechselweise zusammen. Erst bei der Schlußbearbeitung des zur Edition zusammenzustellenden Briefbandes wird die chronologische Abfolge der für ihn bestimmten Briefe hergestellt werden und die Abnabelung von der bis dahin steuernden dBase-Quelldatei für die "Köpfe" erfolgen.

Abschließend sei bemerkt: Wenn in einer Edition mehr geleistet werden soll als die bloße Vorbereitung der Texte zum Satz, sollte in der Arbeitsstelle ein kompetenter Kenner der Edition und zugleich gut eingewiesener TUSTEP-Anwender die Möglichkeiten zum Einsatz dieses mächtigen Werkzeugs ausloten und in der Lage sein, adäquate Lösungen zur Bewältigung der auftretenden Probleme zu programmieren. Zum mindesten sollte er in der Lage sein, bereits bewährte Programme einzusetzen und den jeweiligen Erfordernissen anzupassen.


aus: Protokoll des 76. Kolloquiums über die Anwendung der EDV in den Geisteswissenschaften am 3. Juli 1999